Warum es so schwer ist, in der Krise Aktien zu kaufen

Viele Menschen glauben, die Geldanlage sei eine Frage des Verstandes. Die Wissenschaft der Behavioral Finance sieht das anders. Am langen Ende entscheidet unser Gefühlsleben über Wohl und Wehe unseres Geldes. Das Jahr 2020 ist dafür ein gutes Beispiel.

Noch im Februar herrscht eitel Sonnenschein an der Börse. Es gibt Hoch auf Hoch bei den Aktien. Die Börse feiert. Anlegerinnen und Anleger sind voller Optimismus. Und dann kommt Corona.

Corona ändert an der Börse – alles. Die Kurse purzeln von Tag zu Tag. Für Anlegerinnen und Anleger die erst für kurze Zeit an der Börse sind, fühlt es sich an wie der Untergang der Welt. Noch vor wenigen Wochen haben sie geschrieben: Ach wie toll wäre es, wenn es mal einen richtigen Crash gäbe, dann könnte ich günstig einkaufen.

Jetzt aber leiden sie unter Anfällen von Panik und fragen: Soll ich nicht besser alles verkaufen? Vom mutigen Löwen zum ängstlichen Hasen – und das alles innerhalb von wenigen Wochen. Wie kann das sein?

Die Antwort lautet: Es liegt am menschlichen Gehirn und seiner Funktionsweise. Fangen wir an mit dem, was das Großhirn zu den Schwierigkeiten beisteuert. Das ist eine ganze Menge. Eines schon vorweg. Es liegt an seiner Arroganz. Es hält sich für klüger, als es ist.

 

 

Das Großhirn

 

Sich den Chart einer vergangenen Korrektur anzuschauen oder eines vergangenen Bärenmarktes oder auch eines vergangenen Crashs (Chart oben) und dann zu denken „Natürlich hätte ich am Tief gekauft!“, das ist ganz einfach. Unser Großhirn erfasst die Informationen des Chart in wenigen Sekunden. Es sieht genau, an welcher Stelle der optimale Zeitpunkt für einen Kauf ist. Da stand der S&P 500 nur noch knapp über 600 Punkten. Es ist auch sehr schnell darin, den Gewinn auszurechnen, der sich aus einem Kauf am Tief ergeben hätte. Schon wenige Jahre nach dem Tief stand der Index bei rund 2000 Punkten – das Dreifache.

 

Das Dreifache!

 

So weit die simple Logik des Großhirns. Sie führt zu der Einstellung „Ach wie toll wäre es, wenn es mal eine richtigen Crash gäbe, dann könnte ich günstig einkaufen.“

Meine Güte, ist unser Großhirn aber naiv!

Mit der Realität einer Korrektur hat das, was unser Gehirn bei einem Blick auf den Chart so vor sich hin phantasiert rein gar nichts zu tun. Denn in einer Korrektur (oder in einem Bärenmarkt) herrscht Panik. Die extremen Gefühle, die Anlegerinnen und Anleger plagt, wenn der Index fällt, die sieht unser Großhirn nicht. Es ignoriert sie großzügig bei seiner Berechnung des tollen Gewinns, den es hätte machen können.

 

Das Dreifache!

 

Das Großhirn hält diese Gefühle, ignorant wie es ist, auch nicht für wichtig. Irrtum.

 

Das limbische System

 

Wer erfolgreich anlegen will, der muss den Einfluss unserer Gefühle auf Anlageentscheidungen verstehen. Menschen werden wenn sie Angst haben nicht von ihrem Verstand gesteuert. Wenn sie verliebt sind übrigens auch nicht. Sie folgen vielmehr ihren Gefühlen.

Deshalb ist die Realität einer Korrektur an der Börse ganz anders als in der Phantasie: Bei fallenden Kursen zu kaufen, das ist entsetzlich schwer. Wer eine Korrektur erlebt, der schaut in einen Abgrund der sich von Tag zu Tag vergrößert. Die fiesen roten Zahlen im Depot werden größer. Das vorhandene Vermögen dagegen wird im hohen Tempo kleiner.

Auf einem Börsenblog haben ich vor zwei Wochen gelesen, bei dem Tempo in dem die Indizes fielen, dauere es nur noch rund 40 Tage bis die gesamten Börsenvermögen der Welt verschwunden sind. Es ist ein freier Fall, ohne jedes Wissen um den Punkt, an dem der Boden liegt. Keine Sicherheit.

 

Fassen wir zusammen

 

Das Großhirn macht gleich zwei Fehler.

Erstens wissen wir stets erst im Rückblick, wo das Tief liegt. Niemand läuft an der Börse mit einer großen Glocke herum und verkündet öffentlich, dass die Panik nun zu Ende ist.

Zweitens werden Menschen in der Hauptsache von ihren Gefühlen gesteuert. Da ist ein Gefühl der Panik das uns alle umgibt als der Virus sich mehr und mehr ausbreitet. Diese Panik ist allgegenwärtig. In den Medien, im Freundeskreis, im Alltag da draußen. In so eine Situation beherzt Aktien zu kaufen und nicht auf die Weltuntergangspropheten zu hören, das ist schwer.

 

Wo menschliche Gefühle ihren Sitz haben

 

Manche Menschen glauben, unsere Gefühle entständen im Bauch. Andere vermuten, das Herz sei der entscheidende Ort. Panik wie auch Gefühle der Angst entstehen hingegen im Gehirn – allerdings in einem deutlich älteren Teil unseres Gehirns als dem Großhirn, dem Limbischen System. Das Limbische System steuert einen großen Teil unserer Gefühle. Panik kannten Säugetiere schon vor über 70 Mio. Jahren, zur Zeit der Dinosaurier also. Sie hatten auch guten Grund dazu.

Nur um dir mal eine Vorstellung davon zu geben, wie perfekt unser Gehirn im Verarbeiten von Gefahren ist, will ich dir ein Beispiel geben, wie es mit dem Bild eines Tigers umgeht, der hinter einem Busch hervorkommt.

Du könntest jetzt vermuten, dass unsere Netzhaut das Bild des Tigers an das Großhirn weiterleitet, damit das dann die Flucht einleitet. Doch diese Vermutung ist falsch. In Wahrheit leitet die Netzhaut das farbige Bild des Tigers tatsächlich an das Großhirn weiter. Vorab aber schickt es eine ultra-schnelle schwarz-weiße Kopie des Bildes an die Alarmzentrale im Limbischen System, die sogenannte Amygdala. Zu deutsch: Mandelkern. Die reagiert blitzschnell. Und sie tut das, lange bevor das Großhirn die Bedrohung überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Die Muskeln werden darauf vorbereitet, große Mengen an Energie bereitzustellen. Es gibt jetzt nur zwei Möglichkeiten: Kampf oder Flucht.

 

 

Dieser Teil des Gehirns sorgt derzeit für die Angst vor weiter fallenden Kursen – zumindest bei den Anlegerinnen und Anlegern, die auch in der Krise den Kursen beim Fallen zuschauen. Ich persönlich mache das nicht. Doch auch wenn die Kurse steigen (wie in den letzten Tagen) können wir immerzu befürchten, dass das Schlimmste uns noch bevorsteht.

Steht uns das Schlimmste noch bevor?

Who knows!

Derzeit kann das niemand mit hinreichender Sicherheit sagen. Die Mehrheit der Wirtschaftsexperten geht davon aus, dass wir einen scharfen Abfall der Wirtschaftsleistung in zweiten Quartal sehen werden. Und eine starke Erholung im dritten. In China sehen wir derzeit dieses Muster: Starker Einbruch, starker Aufschwung danach. Kommt es auch bei uns so, gibt es keinen guten Grund für weiter fallende Kurse. Die Frage ist allerdings: Kommt es so?

Wie die Antwort lautet?

Who knows!

Mit dieser Unsicherheit werden wir wohl noch eine Weile leben müssen.

 

Was du tun kannst, um in der Panik zu kaufen

 

Panik ist kein guter Ratgeber an der Börse. Wenn Aktien billig sind, dann sollten wir kaufen. Natürlich müssen wir das nicht tun. Wir dürfen. Aber wie?

Ich sehe hierfür im Grundsatz zwei gute Wege. Der erste geht über einen Sparplan. Sparpläne erleichtern deine Entscheidung. Du richtest ihn ein – und Ruhe ist. Nichts anderes hat auch der Norwegische Staatsfonds in der Krise 2008 gemacht. Jeden Monat kaufen. Nach fünf Jahren sagen dann alle von dir: War das aber genial.

Wer seinen Sparplan anheben kann, der sollte das derzeit tun. Aktien sind gerade billig. Wem Liquidität fehlt, der muss ihn leider aussetzten. Und alle anderen lassen ihn einfach weiterlaufen.

 

 

Der zweite Weg geht über die allgemein bekannten Prozentzahlen (10, 20, 30, 40). Du kaufst also nicht etwa nach, wenn dir danach ist oder wenn die Kurse gerade den Eindruck machen, sie seien günstig, sondern wenn bestimmte Marken im Abschwung erreicht sind: Minus 10 Prozent, Minus 20 Prozent, Minus 30 Prozent, Minus 40 Prozent. Fertig ist der Nachkaufplan.

Der Vorteil dieses Vorgehens: Du brauchst weder über den günstigsten Zeitpunkt nachzudenken, noch dich zu grämen, wenn die Kurse nach einem Kauf weiter sinken. Du hast ja jetzt einen Fahrplan.

 

Tu nur Geld in den Markt, das du in den nächsten fünf Jahren nicht brauchst

 

Ein Nachkauf setzt voraus, dass du genügend Liquidität hast, um nachzukaufen zu können. Hast du sie nicht – auch nicht schlimm. Die Forschung belegt, dass es durchaus vernünftig ist, stets und immer voll investiert zu sein.

Ein Nachkauf setzt zudem voraus, dass du das Geld das du einsetzt, nicht in den nächsten fünf Jahren brauchst. Alles Geld das du in diesem Zeitraum benötigst, hat im Markt nichts zu suchen.

 

Der S&P 500

 

Wie und wann habe ich nachgekauft?

 

Ich selber habe für mein Depot die Prozentzahlen für einen Nachkauf in der aktuellen Krise etwas verschoben. Der Abschwung kam so schnell, dass ich mich für die Zahlen -15, -25, und -35 entschieden habe. Bei den ersten zwei Marken habe ich schon nachgekauft. Die dritte, minus 35 Prozent, wurde am vergangenen Montag im S&P 500, an dem ich mich orientiere, nur für wenige Minuten erreicht. Dann erholten sich die Kurse. Und sie erholten sich rasant. Jetzt stehen sie bei einem Minus von 25 Prozent. Schauen wir mal, ob es dabei bleibt.

 

Mein Fazit

 

Fallen die Kurse in den nächsten Tagen und Wochen noch einmal unter die Marke von -35%, dann kaufe ich erneut nach. Beim letzten Nachkauf habe ich mir übrigens zum ersten Mal einen ETF gekauft, einen auf den S&P 500. Den wollte ich schon immer mal haben. Als nächstes könnte es ein ETF auf den Information Technology Index sein. Schauen wir mal. Ich bin derzeit noch nicht festgelegt.

Die Unsicherheit, wie die Krise sich auf die Wirtschaft und auf die Börse auswirkt, wird uns in den nächsten Wochen weiterhin begleiten:

# Sehen wir die minus 35 Prozent noch einmal?

# Sehen wir möglicherweise sogar die minus 40 Prozent, den Punkt an dem die Grenze zu einem Crash verläuft?

# Oder pendelt der Index in den nächsten Wochen weiterhin im Bereich von minus 20-25 Prozent?

# Legt die Börse Corona bald ad acta und orientiert sich auf die starke Erholung, die viele nach den jetzt kommenden, wirtschaftlich schwierigen Wochen erwarten?

Who knows!

Du machst die Kurse nicht. Ich auch nicht. Die machen die großen Spieler, die ich gerne die Jungs von der Wall Street nenne.

Doch eines steht für mich fest. Wer jetzt in der Krise kauft, der kauft billig. Und in einigen Jahren sagt jeder zu ihm: War das aber genial. Ich würde ergänzen, dass es auch mutig war.

Viel Mut wünsche ich euch. Und: Bleibt gesund!

 

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14 Kommentare

  1. Christian

    Wann verkaufen Sie denn wieder? Haben Sie da auch Regeln?

    Viele Grüße Christian

    Antworten
    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Im besten Fall: Nie. Warum sollte ich auch verkaufen? So lange ich noch anspare, ist das nicht nötig. Da reicht zukaufen.
      Wer von seinem Ersparen lebt, der sollte regelmäßig verkaufen. Jahr für Jahr. Damit immer alles Geld das er die nächsten 5 Jahre braucht außerhalb des Marktes liegt.

      Antworten
  2. Marko

    Gut zusammengefasst! Für alle, die nicht voll investiert sind, kommt noch ein Argument für das Nachkaufen dazu: Rebalancing. Wer vor dem Crash zu 75% in Aktien investiert war, ist es nun vielleicht nur noch zu 65%. Schon deshalb sollte man einen Teil neu investieren.

    Antworten
  3. Ulf

    Danke, das waren genau die Worte die ich gebraucht habe. Bin ein sehr sortierter Mensch und es ist unglaublich wie sehr uns unsere Instinkte immer wieder böse mitspielen….

    Antworten
  4. Thorsten

    Hallo Christian,
    oft betonst Du in den Artikeln, dass Du aus Überzeugung vollständig investiert bist und auch bleibst – das Wiki hat ja aktuell auch < 1% Cash. In diesem Artikel es mal anders. Daher die Frage: Wie viel Geld hast Du denn bis zu den jeweiligen Rücksetzern zum Reinvestieren zurückbehalten (prozentual)?

    Und hast Du auch eine generelle Strategie, wieviel Geld Du in welcher Marktphase zurückhälst anstatt voll investiert zu bleiben?

    Antworten
    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Ich entscheide bei Korrekturen (zusammen mit meiner Frau), wie viel von den Rücklagen wir in den Markt tun (als Freiberuflicher brauche ich ja ziemlich hohe Rücklagen). Das war 2015/16 schon so. Das war 2018 wieder so. Und auch aktuell haben wir überlegt, in welchem Maße wir zusätzlich investieren können. Das sind keine großen Beträge, höchstens mal drei bis fünf Prozent des Depotumfangs.
      Ansonsten legen wir ab und an auch in guten Zeiten mal Geld zurück.
      Im Prinzip ist das nach dem Stand der Forschung auch genau richtig so, denn time in the market beats timing the market. So gesehen halten wir nichts zurück. Wir legen nur vorsichtig an. Und können bei Sonderangeboten schwer „Nein“ sagen. Bisher hat es sich gelohnt, so vorzugehen.

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  5. Peter Silie

    Hi Christian,

    Ich habe hier ja schon öfters mal kommentiert.
    Ich bewundere Deine optimistische Einstellung! Diesen Rücksetzer habe ich genutzt, um einen Teil meines Vermögens in einen breitgestreuten ETF zu investieren. Mir geht es gut damit. Das erste Mal in Aktien investiert. Die Frage nach Absetzen der Kauforder, die ich mir gestellt habe war, und wie weiter jetzt? Auf weitere Rücksetzer warten, die vielleicht nie kommen? Oder alles reinstellen und vergessen. Der Sparplan ist dabei sicher eine gute Variante.

    Von daher kam Dein Beitrag gerade zur rechten Zeit.
    Viele Grüße

    Antworten
    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Ich halte mich ja eigentlich gar nicht für eine Optimisten – sondern für eine Realisten (aber vielleicht ist das in Bezug auf den Markt auch das gleiche). Der amerikanische Aktienmarkt steigt seit über 100 Jahren um rund 10 Prozent (inkl. Dividenden). Nach Abzug der Inflation bleiben in dieser Zeit 6,5 Prozent übrig. Das ist realistisch.
      Für den Weltaktienmarkt ist die Lage ähnlich gut.
      Wer mehr erwartet, der wird enttäuscht werden (oder muss, wie ich, den Index schlagen).
      Wer weniger erwartet oder gar vom Zusammenbruch der Weltwirtschaft oder des Weltfinanzsystems ausgeht, der wird wohl auch diesmal wieder enttäuscht werden. Menschen sind unglaublich einfallsreich, erfinden neue Produkte und Dienstleistungen. Und das werden sie auch in den kommenden 100 Jahren so machen.

      Antworten
  6. Andy

    Hallo Christian, sehr guter Artikel
    hast du schon einen Technology ETF ausgesucht?
    Beste Grüße aus Andernach

    Antworten
    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Danke! Den Information Technology Index gibt es von vielen Anbietern. Schauen wir mal.

      Antworten
      1. Ute Zimmermann

        Ich finde Ihre Beiträge sehr hilfreich und interessant. Ich interessiere mich sehr für den Technology Index und wäre dankbar, einen Tipp für einen ETF zu bekommen

        Antworten
        1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

          Ich kann und will keinen konkreten empfehlen. Einfach bei Google eingeben und dann darüber informieren. Es gibt – natürlich – verschiedene Anbieter.

          Antworten
    2. Stefan

      Hallo Christian!
      Ich finde deine Beiträge immer sehr lesenswert! Weiter so!
      Du schreibst oben, dass du einen ETF auf den S&P 500 gekauft hast.
      Mich würde interessieren für welchen du dich entschieden hast (gibt da ja inzwischen einige) und was deine Gründe waren genau diesen auszusuchen.
      Danke und viele Grüße!
      Stefan

      Antworten
      1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

        Ich tendiere eher zu den ganz großen ETFs vom Umfang her. Ich habe einen von Vanguard genommen. Hätte auch ein anderer werden können.

        Antworten

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