André Kostolany: „Wenn die Zinsen fallen, dann muss man an der Börse einsteigen, ohne großes Wenn und Aber.“

Fallen die Zinsen, dann hat das einen guten Grund. Oft sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gerade schwieriger geworden. So ist es in den letzten Monaten geschehen. Viele Börsenprofis schreckt das nicht. Niedrige Zinsen sind für die Börse das ideale Umfeld um zu steigen. So sieht es auch André Kostolany, dessen Buch „Die Kunst über Geld nachzudenken“ ich in den letzten Tagen gelesen habe. Er hätte sicherlich nicht zu der großen Schar an Börsenbeobachtern gehört, die sich über die steigenden Aktiennotierungen der letzten Monate gewundert hat. Ich habe heute ein paar Zitat von ihm zusammengestellt, die zum Teil sehr schön zur aktuellen Lage an der Börse passen.

„Wenn die Zinsen fallen, dann muss man an der Börse einsteigen, ohne großes Wenn und Aber. Die Geld-, Zins- und Kreditpolitik einer Regierung kann man sehr gut verfolgen. Sie macht ja auch kein Geheimnis daraus.“

Nur mal angenommen, ein Präsident der Vereinigen Staaten erklärt: „I will do anything in my power to reduce interest rates.“ Was ist dann nach Kostolanys Meinung zu tun?

„Bei einer solchen Bemerkung des Präsidenten der Vereinigten Staaten muss ein Börsianer wie vom Trampolin hochgeschnellt in die Wall Street stürzen.“

Langfristige Zinsen von Staatsanleihen

 

„Die langfristigen Zinsen werden nicht durch die Notenbank, sondern durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Je höher ihre (Real-)Verzinsung ist, desto mehr machen sie der Aktie Konkurrenz. Liegen sie erheblich höher als die Inflationsrate und die Dividendenrendite von Aktien, fällt die Wahl tendenziell auf die Festverzinslichen. Ist dagegen die Verzinsung der langfristigen Anleihen mager, sind Anleger bereit, für die Chance auf Kurssteigerungen ein etwas größeres Risiko hinzunehmen, und satteln auf Aktien um.“

 

 

Genau das ist im Zuge der Corona-Krise passiert. Die Zinsen für lang laufende amerikanische Staatsanleihen (Bonds) sind im Verlauf der Krise regelrecht kollabiert – der Chart oben zeigt es. Nach ihrem epischen Sturz stehen Bonds derzeit stabil unter 1 Prozent (Stand Freitag 10. Juli waren es genau: 0,633 Prozent).

Das ist historisch einmalig – und es hat gravierende Folgen für den Markt. Die Anleger, die noch im März aus dem Markt gingen, kehrten schon bald zurück. Da mit  Staatsanleihen kaum noch Geld zu verdienen ist, legen sie ihr Geld lieber in Aktien an. Selbst wenn die auf Jahre nicht mehr steigen, bringen Aktien durch ihre Dividende derzeit rund drei Mal so viel Rendite (bezogen auf den Index S&P 500) wie Staatsanleihen. Die Dividendenrendite des S&P 500 liegt derzeit bei knapp 2 Prozent (Quelle: The Wall Street Journal). Noch vor zwei Jahren lag die Dividendenrendite des S&P 500 deutlich hinter der Rendite von Bonds. Das ist bis auf weiteres – Vergangenheit.

 

 

Der Flash-Crash von 1987

 

André Kostolany hat viele Abschwünge an der Börse miterlebt. Der wohl ungewöhnlichsten erfolgte 1987 – der Flash-Crash, der sich an nur einem Tag vollzog. Einige Marktbeobachter fühlten sich im März, angesichts der extrem schnell fallenden Kurse, an dieses Ereignis erinnert.

„Was jedoch auch mich überraschte war, dass die Phase des Absturzes an nur einem Tag ablief. Einen Kurssturz um 22 Prozent  oder auch noch mehr habe ich unzählige Male erlebt, aber eben nicht in dieser Geschwindigkeit.

Viele Journalisten fragten mich damals, ob ich viel verloren hätte. Ich entgegnete: „Verloren? Das ist ja ein Witz. Ich habe nichts verloren. Die Papiere, die ich habe, stehen auch heute noch ein vielfaches höher, als ich sie gekauft habe.“

Viele unserer Freunde erkundigten sich nach dem 19. Oktober 1987 bei meiern Frau nach meinem Wohlbefinden. Sie fragen: „Wie geht es André – Ist er nervös?“ – „Nervös? Ich kann nichts feststellen. Er sitzt im Sessel und hört Musik, so wie immer“, antwortete meine Frau. Wenn ich voll bezahlte Papiere habe, was bei mir bereits seit vielen Jahren Gesetzt ist, bin und war ich bei Kursstürzen eigentlich immer ruhig.

Wenn ich merke, dass sich dennoch ein wenig Unruhe in mir breit macht, denke ich immer an meinen guten alten Freund. Eugène Weinreb, einen routinierten Börsenfuchs, der bereits im Alter von zehn Jahren mit dem Spekulieren begonnen hatte. Eines Tages kam sein Sekretär voller Aufregung zu ihm. „Die Papiere gehen dramatisch zurück, was sollen wir tun?“ Er antwortete völlig gelassen: „Die Papiere gehen zurück? Soll ich  mich aufregen? Ich war drei Jahre in Auschwitz …“

Einen Tag nach dem Krach hielt ich einen Vortrag im Deutschen Museum in München. Die Süddeutsche Zeitung widmete mir am nächsten Tag eine halbe Seite, weil es, wie sie in dem Artikel selbst zum Ausdruck brachte, so angenehm war, endlich mal einen Optimisten zu hören.

Was mich bereits einen Tag nach dem Krach so optimistisch machte, war die damalige Äußerung des US-Notenbankpräsidenten Alan Greenspan: „Die Federal Reserve steht der Wirtschaft mit allen Mitteln zur Verfügung und wenn nötig werde ich die Banken in Liquidität baden.“ Damit war für mich die Krise gelöst. Eine Wiederholung von 1929 war ausgeschlossen.“

 

Langfristige Aktienanlage erfordert gute Nerven

 

André Kostolany gehörte ganz offensichtlich nicht zu den Zeitgenossen, die stürzende Kurse aus der Ruhe bringen. Er blieb, zumindest in den letzten Jahrzehnten seines Börsenlebens, einfach investiert. So ähnlich machen es die allermeisten Langfristanleger. Sie sitzen Abschwünge an der Börse einfach aus. Das erfordert zweifellos Nerven. Wer schaut schon gerne dabei zu, wie sein Geld von Tag zu Tag weniger wird.

Die Corona-Krise hat zu Abschlägen von ziemlich genau 35 Prozent vom Hoch aus geführt. Dann drehte der Markt wieder – die amerikanische Notenbank Fed unter Jerome Powell versprach, den Markt „in Geld zu baden“, so wie einst Alan Greenspan es getan hatte. Die Kurse beruhigten sich – und zogen nach oben. Hinzu kamen zahlreiche Hilfspakete von Regierungen rund um den Globus, die sich auf rund 20 Bio. Dollar summieren. Und natürlich – die niedrigen Zinsen. Auch die haben geholfen. So hätte das möglicherweise auch Andrè Kostolany gesehen.

 

Mein Fazit

 

Die Richtung in die der Markt geht hängt derzeit weniger von der weiteren Entwicklung rund um die Corona-Pandemie ab. Sie steht und fällt vielmehr mit der Frage, ob die (amerikanischen) Zinsen so niedrig bleiben wie derzeit. Bleiben sie es, dann ist der Aktienmarkt noch immer billig. Bleiben sie es nicht, dann ist er teuer. Was werden sie tun?

Der zweite Punkt: Können die großen Volkswirtschaften der Welt mit ihren Hilft- und Konjunkturprogrammen eine längere Rezession verhindert, dann ist bei den Aktienkursen auch derzeit (der S&P 500 steht bei 3.185 Punkten) noch Luft nach oben. Mein Kursziel liegt bei 3.300 bis zum Jahresende.

Vergrößern sich die wirtschaftlichen Probleme hingegen, dann werden wir vermutlich eine erneute Korrektur der Märkte erleben. Beide Varianten sind gleichermaßen möglich – auch wenn derzeit nur von der zweiten die Rede ist. Die Medien mögen keine Szenarien die gut ausgehen.

 

Niemand sollte sich darauf verlassen, dass die Kurse weiter steigen. Aber das tun Langfristanleger (in meinen Augen) ja ohnehin nicht. Geld das wir in den nächsten fünf Jahren brauchen, hat im markt nichts zu suchen. Gleichzeitig sollte sich aber auch niemand von den Warnungen vor zu hohen Kursen beeindrucken und verunsichern lassen.

Der Gesamtmarkt, gemessen am S&P 500, steht für 2020 noch immer im Minus. Bis zum Jahresende könnte es ein kleines Plus geben. Zwei Prozent. Das war schon im Januar die wahrscheinlichste Variante. Und es es derzeit in meinen Augen noch immer.

 

Mehr sehen

 

André Kostolanys legendärer Auftritt in der NDR-Talkshow (1998), in der er den Neuen Markt angreift, das Segment der Deutschen Börse, an dem zu der Zeit die Internet-Aktien gehandelt werden. Der Altmeister behielt einmal mehr recht.

 

 

„Zum Neuen Markt darf man nicht gehen. Das ist ein Betrug mit gezinkten Karten und Falschspielern.“

 

Mehr lesen

 

 

9 Kommentare

  1. Marc

    Warum hängt die Richtung des Marktes „weniger“ von der Corona Pandemie ab? Wo doch gerade in den USA durch die unkontrollierte Ausbreitung neue Lockdowns drohen?
    Wie lange kann man eine Wirtschaft mit Notenbankgeld aufrecht erhalten?
    Klar kann das niemand beantworten…was wohl Kostolany darauf gesagt hätte?

    Antworten
    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Die Ausbreitung in den USA ist nicht unkontrolliert (die Infektionszahlen sind allerdings wieder leicht gestiegen). Es wird keinen zweiten Lockdown geben. In den USA werden in einzelnen Bundesländern Kneipen und Nachtclubs geschlossen, sowie Veranstaltungen untersagt. Das scheint mir sinnvoll. Wie lange eine Wirtschaft ohne Besäufnisse und bestimmte Formen des Vergnügens leben kann? Ich vermute – ewig. Und Kostolany hätte das sicherlich auch so gesehen. Ausschweifende Nächte auf Mallorca waren nicht seine Sache, so weit ich mich erinnere.

      Antworten
      1. Carolin Conradi

        Stimmt. Da die US Seuchenschutzbehörde seit heute aus dem Spiel ist, und die Daten künftig aus dem Weißen Haus kommen, ist Infektionsrückgang in Sichtweite.

        Antworten
  2. Michael Dorer

    Die aktuelle Situation an den Börsen ähnelt sehr der damaligen zu Zeiten des Neuen Marktes. Damals bekamen Kleinanleger die Möglichkeit über Direktanlagebanken zu günstigen Konditionen Wertpapiere zu erwerben. Zeitgleich wurde die dt. Telekom-Aktie als Volksaktie extrem beworben. Den Menschen wurde Sicherheit vorgegaukelt, die nicht existierte. Überall wurde von Aktien und den großen Gewinnen gesprochen, die man damit machte. Den träumenden Teilnehmern eines Kettenbriefs gleich, wurde von fast jeder Mann und Frau „investiert“. Heute ist es noch schlimmer. Die damaligen Luftnummern des Neuen Marktes finden wir heute in Form von Zombieunternehmen wieder, die indirekt von den Zentralbanken künstlich am Leben gehalten werden. Der Käufer-Push der Direktanlagebanken damals, wird heute von Discountbrokern erzeugt. Staaten sind so hoch verschuldet, dass Entschuldigung unmöglich ist. Die Wirtschaft steht seit Jahren auf der Bremse. Wenn man den Menschen Arbeitplätze und Löhne nimmt, die die Wirtschaft am Laufen halten und das Geld stattdessen in Taschen fließen lässt, in denen es überwiegend sich selbst vermehrend gehortet wird, dann kommt keine Wirtschaft ins Laufen. Keiner dieser Dagobert Capone ersetzt die breitgefächerte Kaufkraft dieser (ex) Arbeiter. Der Konsum von tausenden fällt einfach weg. Wohin das führt, sollte für jeden Grundschüler nachvollziehbar sein. Kostolany wüßte, dass die heutigen Glücksritter schon in naher Zukunft ohne schützende Rüstung und mit geplünderten Konten dastehen werden. Jetzt in den Aktienmarkt einzusteigen, widerspricht zu 100% Kostolany´s Lehre.

    Antworten
    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Solche „Zombie“-Zuschriften kommen immer wieder, wenn ich optimistische Texte schreibe. Es steht, mit Verlaub, so viel Unsinn darin, dass ich mir jetzt nicht die Mühe machen werde, auf alles einzugehen.
      Fakt ist: Wir haben heute genau die extrem profitable Internet-Ökonomie, von denen im Jahr 2000 geschwärmt wurde (und die es damals einfach nicht gab – die meisten Unternehmen hatten schlicht kein Geschäftsmodell).
      Was derzeit in der Tat fußlahm ist, das ist die Old Economy; DAIMLER, TUI, LUFTHANSA, um nur ein paar der „Zombie“-Unternehmen zu nennen, die nur noch mit Hilfe des Staates und seiner Finanzmittel am Leben erhalten werden. Langfristinvestoren steigen nicht jetzt in den Markt ein. Sie sind es schon lange. Und bleiben es.

      Antworten
      1. Carolin Conradi

        Wirecard war zwar nicht Old Economy, aber trotzdem wohl seit Jahren Zombie. Glückliche sind bei -80% ausgestiegen.

        Antworten
  3. Peter Silie

    Guter Beitrag. Kürzlich erschien ein Interview von Ray Dalio, in dem er ebenfalls zu Aktien aber auch Gold rät. Er geht allerdings von einem Paradigmenwechsel aus, da wir uns seiner Ansicht nach am Ende eines ‚long term debt cycle‘ befinden. Am Ende soll die Ablösung der USA als Weltmacht stehen. Ewig kann die expansive Geldpolitik jedenfalls nicht weiter gehen.

    Ich habe trotzdem nachgekauft.

    Antworten
  4. Daniel

    Jerome Powell, nicht Gen.Collin Powell;-)
    Aber super Bericht.

    Antworten
    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Ups. Danke für den Hinweis.

      Antworten

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

vier − 1 =