Ein Plädoyer für die BaFin und für strengere Leerverkaufsregeln

Gastbeitrag

 

von STEPHAN GEMKE

 

Börsenessayist Stephan Gemke widmet sich in diesem Artikel zweierlei: Zunächst der Bundesanstalt für Finanzaufsicht (BaFin) mitsamt ihrem Tun, Wirken und Unterstützungsbedarf. Dieser gar nicht mal so zahnlose Tiger, müsse weiter an Bissstärke gewinnen, so sein Plädoyer. Wichtig sei es, den Rechtsrahmen, in dem sich die BaFin bewege, zu verbessern. Im Anschluss hat Stephan Gemke Leerverkäufe im Blick, die bei Privatanlegern oft für Unverständnis, Verdruss und/oder Argwohn sorgen und entlarvt die Argumente der Hedgefonds und Co. gegen verschärfte Regulierung und Transparenz als Unsinn.

 

Doch der Reihe nach:

 

Die Geschäftstätigkeit von circa „1.630 Banken, 720 Finanz- sowie 40 Zahlungs- und E-Geldinstitute sowie knapp 90 deutsche Zweigniederlassungen ausländischer Kreditinstitute aus dem Europäischen Wirtschaftsraum, rund 540 Versicherer und 30 Pensionsfonds sowie 400 Kapitalverwaltungsgesellschaften und mehr als 6.300 inländische Fonds“ hatte die Bundesanstalt für Finanzaufsicht (kurz: BaFin) per Ende 2017 zu überwachen. Sie tut dies, so ist auf ihrer Webseite zu lesen, um die Funktionsfähigkeit, Stabilität und Integrität des deutschen Finanzplatzes zu sichern.

Ab und bis wann diese Funktionsfähigkeit, Stabilität und Integrität gewährleistet ist, ist sehr schwer zu beantworten und folgt dem Muster ärztlicher Meinungen: Fragt man zwei Ärzte, erhält man drei Einschätzungen.

Als Adressat vieler Hilferufe, Wehklagen und ähnlichen Unmutsbekundungen geschädigter, frustrierter und wütender Anleger steckt die BaFin im Dilemma zwischen dem, was laut Gesetz unter Funktionsfähigkeit, Stabilität und Integrität zu verstehen ist, und was die diversen Marktteilnehmer, insbesondere die Privatanleger als Solches empfinden. Schaut und hört man sich in diversen Online-Communities und Medienportalen um, die strittige Fälle mit Versicherungen, Fondsprodukten, Hausbanken, der Börse und vielem mehr zum Thema haben, dann lautet der Tenor oft, die BaFin sei ein zahnloser Tiger.

Ich finde diese Zuschreibung nicht gänzlich falsch, aber noch weniger richtig. Wer vorwurfsvoll ruft, „Ihr habt uns nicht geschützt“ sollte sich zunächst an die eigene Nase fassen, da Naivität, Gier, Egoismus, Bequemlichkeit, Dreistigkeit und andere Eigenschaften und Verhaltensweisen vielen der Fehlinvestments und betrügerischen Absichten vorausgingen und diese weiterhin ermöglichen. Mit gesunder Skepsis, möglichst viel Erfahrung (ja, auch aus Fehlern) und vor allem selbstverantwortlichem Handeln schützt man sich am besten vor windigen Finanzberatern und Finanzprodukten. Im Bewusstsein darüber, dass es Rendite nirgends ohne Risiko gibt und jede Geldanlage per se ein hoch emotionaler, psychisch aufgeladener Akt ist, in dem sich viele Hoffnungen, Wagnisse und Sehnsüchte manifestieren, kommt es zunächst auf jeden einzelnen Anleger selbst an Schaden von sich abzuwenden.

Und nach diesem Griff an die eigene Nase, kann und muss man für noch schärfere Zähne der BaFin sorgen. Denn ohne regulatorische Unterstützung geht es schließlich nicht, um den Sockel an Anlagebetrügen, Geldwäsche oder Marktmanipulationen so klein wie möglich zu halten.

Sprich, sowohl die Eintrittswahrscheinlichkeit, als auch das Schadensausmaß von finanzrechtlichen Streitfällen welcher Art auch immer für die Verbraucher geringstmöglich zu halten.

Dafür ist die Regulierung und Kontrolle vorgesehen und man kann diese Zielsetzung nicht genug hoch hängen, da es schlussendlich um Vertrauen geht – dem wichtigsten, da einzigen Gut im Finanzwesen. Jenes Vertrauen darauf, dass man nicht über den Tisch gezogen wird und dass die Versicherungen, Kreditinstitute, Fondsanbieter, Börsenunternehmen oder Emittenten von Anleihen auch morgen noch solvent sind. Dieses Vertrauen zu erhalten und bei Verlust zurückgewinnen zu können, dafür ist die Aufsicht da und dafür muss sie vom Gesetzgeber her laufend unterstützt und verbessert werden. Wer dies lästig, bürokratisch und aufwendig findet, oder torpediert oder andere Prioritäten hat, hat im Finanzwesen und in der Finanz- und Wirtschaftspolitik meiner Meinung nach nichts zu suchen.

Denn in all den Versicherungsprodukten und Fonds sowie auf den Konten und in den Depots befindet sich unser aller – zumeist hart erarbeitetes, erspartes und versteuertes – Geld. Etwas noch schützenwerteres, außer vielleicht das eigene Leib und Leben, kenne ich nicht.

Daher ist es so wichtig, dass Finanzämter, Polizei und Staatsanwaltschaft, die Bundesbank oder eben die BaFin mit dem bestmöglichen Regelwerk unterstützt werden, um dieses Geld zu schützen.

Dass die BaFin durchaus furchteinflößend ist, lässt sich in der Versicherungsbranche erkennen. In diesen Kreisen gilt die BaFin alles andere als handzahm oder gar wirkungslos. Dort muss jeder Geschäftsprozess, ja jede Computerdatei BaFin-gerecht sein. Denn die Prüfer der Bundesbehörde sind äußerst penibel und überaus kompetent. Zudem sind ihre Befugnisse sehr weitreichend: Sie darf unangemeldet Dokumente einsehen, an Sitzungen teilnehmen, das Risikomanagement bewerten, Stresstests vornehmen und kann den Versicherungskonzernen das Neukundengeschäft verbieten, Auflagen machen oder Bußgelder verhängen und dadurch die Reputation schwächen und den Gewinn durch die Bildung hoher Rückstellungen schmälern.

 

 

Aus der Sicht von Anlegern, Ratingagenturen, Rückversicherern und Unternehmenskunden haben solch gerügte Finanzinstitute dann enorme Vertrauens-, Bonitäts- und Finanzierungsprobleme, um nur die offensichtlichsten zu nennen. Hinzu kommt die Wettbewerbsintensität im Versicherungsgewerbe. Die Konkurrenz würde sofort jede Rüge zu ihren Gunsten ausschlachten. Ein Versicherungskonzern mit der Anzahl an Rechtsstreitigkeiten und vor allem an Verurteilungen und Strafzahlungen, wie es z.B. die Deutsche Bank in den letzten Jahren erlebte, würde niemals überleben.

Gerade wegen den zugenommenen und weiter zunehmenden Anforderungen und dem sich kontinuierlich ändernden Regelwerk auf nationaler, wie internationaler Ebene, gibt es viel zutun, um z.B. die IT-Infrastruktur, die buchhalterische Praxis und die jeweiligen Versicherungs- und Finanzprodukte gesetzeskonform zu machen und zu erhalten. Lückenlose Dokumentation all dessen inklusive. Nicht grundlos entwickelte sich mit spezialisierten Rechtsberatern, IT-Dienstleistern und Systemhäusern eine Subbranche heraus. Auch wenn man meint, dass die Finanzbranche weiterhin unzureichend reguliert sei, was freilich nicht ganz falsch ist; so frei, wie manche wiederum denken, ist die Welt der Banken und Versicherungen ganz offensichtlich nicht.

Warum man dennoch meint, die BaFin genüge nicht den Ansprüchen, die an sie als Kontrollinstanz für Banken, Versicherungen und den Wertpapierhandel in Deutschland erhoben werden, ist meiner Meinung nach an drei Personengruppen festzumachen:

1) Angefangen beim gemeinen Privatanleger, der in Unwissenheit über die tatsächlichen Rechte und Pflichten sowie über die tatsächliche Ressourcenausstattung der BaFin die Sachlage falsch einschätzt und folglich zu hohe Ansprüche stellt, die wiederum so nur enttäuscht werden können.

2) Fondsmanager, Investmentbanker und Gründer, die neue Finanzprodukte entwickeln, die so noch nicht vom Gesetz berücksichtigt sind und entsprechend viel Gestaltungsspielraum in dessen Ausgestaltung und Verkauf lassen. Hierbei lässt sich die Situation mit dem Kampf gegen Doping vergleichen: Auch da hört das Getrickse nicht auf, aber es nimmt ab, sofern die Aufseher besser ausgestattet und weitreichender befugt sind.

3) Die Abgeordneten, die den „Dopingsündern“ säumig, mitunter auch inkompetent hinterherschauen. Es finden sich in den Finanzausschüssen diverser Parlamente deutlich weniger Wirtschaftsprüfer, Mathematiker, Volkswirte, Verbraucherschützer und ja, auch Ex-Banker, als es der Materie an und für sich gut täte. Denn auf die Legislative kommt es an.

 

Kurzum: Wer sich über die BaFin aufregt, der beschwert sich über den falschen.

 

Sie kann sich nur innerhalb des Rahmens bewegen (dem Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz), der ihr vom Gesetzgeber zugebilligt wird. Es sind also die Parlamentarier, die mit Gesetzesanpassungen zu regeln haben,

  1. was seitens der Banken, Versicherungen und sonstigen Finanzdienstleistern zu leisten ist,
  2. was die Kompetenz der Aufsichtsarbeit der BaFin angeht sowie
  3. schneller als bislang Klärungsbedarf abzubauen, wo er noch besteht.

So prüft die BaFin „nur“, dass die von ihr beaufsichtigten Institute und Unternehmen ihren Geschäftsbetrieb ordnungsgemäß führen und Gesetze und Vorgaben einhalten. Wo ein ordnungsgemäßer Geschäftsbetrieb anfängt und wo er aufhört, dass liegt in den Händen des Gesetzgebers.

 

 

Es ist also der Gesetzgeber, der hinterherhinkt bzw. wegen der ihm innewohnenden Langsamkeit von Entscheidungsprozessen zwangläufig hinterherhinken muss. Beispielsweise in Bezug zu Kryptowährungen, die trotz fast 10-jährigem Bestehen immer noch nicht Bestandteil des Kreditwesengesetzes (KWG) sind, da die 5. EU-Geldwäscherichtlinie erst ab dem 10. Januar 2020 in nationales Recht umgesetzt werden muss. Entsprechend ist die BaFin selbst gezwungen eine Einschätzung vorzunehmen, inwiefern Bitcoins und Co. ein Finanzinstrument darstellen. Nicht zuletzt führte dies wiederum zu Rechtsstreitigkeiten und durchaus zu gegensätzlichen Ansichten auf der Richterbank, als die Kryptowährungen in den vergangenen Jahren einen Hype erlebten.

Dort, wo Exekutive und Judikative Hand in Hand gehen sollten, stehen sie sich im Weg, weil die Legislative salopp gesagt, vor sich hin döst oder sich in den zahlreichen Ministerien, Ausschüssen und Arbeitsgruppen mit immer neuen Mitgliedern und Zusammensetzungen über Jahre hinweg verliert.

Dabei können dieser unklare Zustand und der unregulierte Wildwuchs weder der Politik und dem Staat, noch sämtlichen Anbietern solcher und weiterer Finanzdienstleistungen recht sein. Alle profitieren schließlich davon, wenn Rechtssicherheit herrscht.

Insbesondere weil es immer unübersichtlicher wird.

Das Gros der Finanzprodukte, Anlageklassen, Versicherungspolicen, Fintechs und Berufsgruppen von heute gab es vor 70, 30 oder gar 10 Jahren entweder gar nicht, oder nicht in diesem Ausmaß und in dieser Form. Ich denke da an ETFs, Aktienanleihen, Hochfrequenzhandel, Wikifolios, Robo-Advisory, Digital Banking, Cybercrime-Versicherungen, Termingeschäfte, Schifffahrtsfonds, Cum-Ex Geschäfte, P2P-Lending, Crowdinvestingportale, Family Offices sowie Private Equity und Venture Capital-Gesellschaften; um nur einige zu nennen.

Der Börsenhandel ist im Großteil leider zum stupiden Maschinentrading verkommen und Privatanlegern offeriert man eine wachsende Funktions-/Produktfülle, um als „Bankster im Kleinen“ agieren zu können. So spekuliert auch der Privatmann mit seinen Ersparnissen mit Put- und Calloptionen, kann shorten und zu immer niedrigeren Transaktionskosten an allen Börsen der Welt Handel mit beliebig vielen Währungen, Rohstoffe und Unternehmensbeteiligungen treiben.

Von schierem Vorteil halte ich diese zunehmende Produkt- und Akteursvielfalt nicht.

 

 

Zwei Beispiele von Produktinnovationen aus der jüngeren Vergangenheit

 

Bio, Öko, Nachhaltigkeit, Ressourcenschutz und alles was sich unter diesen Schlagworten sonst noch sammelt war ein äußerst erfolgreicher Zug, der in den letzten Jahren durch Deutschland zog und auf den viele aufsprangen. Eine Devise lautete beispielsweise sinngemäß „Werde Waldbesitzer und sichere dir deinen Anteil am Rohstoff der Zukunft“. So tönte der Lockruf findiger Fondsanbieter, die für jeden Trend einen neuen, passenden Fonds aufsetzen. Dabei schnitten alle der durch die BaFin erlaubten Anbieter solcher Walddirektinvestments beim Test durch die Stiftung Warentest mangelhaft ab (Stand 2018).

Viel zu intransparent und zu unplausibel waren die Angaben der Anbieter. Das diese verschiedenen Waldinvestments dennoch auf den Markt gelangen hat damit zutun, dass die BaFin die Angaben in den Verkaufsprospekten und Informationsblättern, sofern sie denn überhaupt vorlagen, nur nach formalen Gesichtspunkten prüfte, sprich das die Angaben vorhanden und das sie in sich schlüssig waren. Ob sie richtig waren, wurde und wird nicht geprüft – was naturgemäß auch schwierig ist.

Diese Verfahrensweise „Verpackung vor Inhalt“ ist einer der grundsätzlichen und hauptsächlichen Kritikpunkte an der Arbeit der BaFin. Sie ließ auf den Markt, was nachher laut der Stiftung Warentest besser nie auf den Markt gelangt wäre. So ist also auch hier der Gesetzgeber gefordert, schließlich kann die BaFin nicht eigenmächtig handeln. Es wäre schon viel gewonnen, wenn wenigstens die Rügen, Verurteilungen und Bußgelder durch die BaFin und anderen Institutionen sichtbarer würden.

Ein anderes Beispiel betrifft die Schwarmfinanzierung. So beanstandete die BaFin laut ihrer Pressemitteilung vom 17.9.2018 70% der 50 untersuchten Crowdinvestingportalen. 70%! Und zwar wegen nicht ordnungsgemäß platzierten bzw. fehlenden Warnhinweisen zum Risiko und zur Rendite sowie wegen Zugriffsbeschränkungen auf die grundsätzlich frei zugänglich zu haltenden Vermögensanlagen-Informationsblätter (VIB). Hier, wie auch im Beispiel der Waldinvestments und ganz generell nehmen es die Betreiber und Anbieter neuer und junger FinTech-Angebote, Anlageprodukte und Online-Handelsplattformen eindeutig nicht allzu genau mit dem Gesetz und ihren Transparenz- und Informationspflichten. Die Sichtbarkeit von Verfehlungen lässt auch hier zu wünschen übrig und ist ohnehin auch medial unterrepräsentiert; meiner Meinung nach selbst in diversen Verbrauchermagazinen, Nachrichtensendungen und Talkshows. Ich wünschte statt Kochsendungen, Geschmacktests und Rezeptempfehlungen gäbe es das gleiche mit Finanzprodukten. Wäre toll, wenn der deutsche Rezipient genauso finanziell gebildet würde, wie zum Thema Essen.

Und nach Schneeballsystemen, Boni- und Provisionswahnsinn, Zinsabzocke und Berichte über strittige Finanzinnovationen und Vertragsklauseln, gehören meiner Meinung nach endlich die sogenannten Short-Attacken auf die Problemslösungsagenda von Medien und Politik. Ich komme im Abschnitt zu den Leerverkäufen noch detaillierter darauf zurück.So oder so gilt: Das Aufgabengebiet und die Verantwortung der BaFin werden nicht abnehmen, sondern weiter steigen. Daher braucht es zweifellos noch mehr Personal, noch mehr Rechte und noch klarere Zuständigkeiten. Was nämlich hinter und in Begriffen wie Fondsvermögen, Aktienbesitz, Zinssatz, Kontoführung, Altersvorsorge, Versicherungsschutz und vielem mehr steckt, ist das reale Geldvermögen und damit die Existenz von Menschen, wie Sie und ich.

Und wie heißt es so schön: Sie alle wollen doch nur unser Bestes … unser Geld.
Zu wissen, dass sich mit der BaFin jemand darum kümmert, dass dies nicht so einfach geht, verdient jede Unterstützung. Was, wenn nicht der Schutz unseres Geldes, ist sonst unterstützungswert?

 

Verbesserungsvorschläge an die BaFin

 

Daher folgt nun ein vertiefter Blick darauf, was an und für die BaFin zu verbessern ist. Vorab: da ich weder ein Jurist, noch ein Insider irgendeiner behördlichen oder finanzwirtschaftlichen Institution bin, ist die folgende Aufzählung bestimmt in vielerlei Hinsicht zu ergänzen.

Ein Problem ist, dass ältere, erfahrene Mitarbeiter die Behörde verlassen, um zum Karriereende hin noch einmal viel Geld zu verdienen und zwar mehr, als es mit ihrer Besoldungsgruppe möglich wäre. Dies ist insbesondere bitter, weil die Banken sich so einzigartige Kompetenz einkaufen und in der BaFin verloren geht. Es ist ja nicht nur das jeweilige Fachwissen, sondern ebenso die Kontakte des Wechslers und sein Wissen um Netzwerke und Vorgänge interner wie internationaler Art sowie sein wertvolles Konkurrenzwissen; je nachdem, wer zukünftiger Arbeitgeber des ehemaligen BaFin-Mitarbeiters wird. Natürlich gibt es Verschwiegenheitsklauseln und Wettbewerbs- und Konkurrenzverbote, jedoch braucht es nicht erst die Weitergabe von Detailwissen, um nützlich für die Gegenseite zu sein. Es ist bereits ein symbolischer Akt; denn nicht jeder hackt seiner zukünftigen Krähe ein Auge aus. Zumal es in der Gesellschaft ohnehin sehr argwöhnisch und verschwörerisch zugeht. Stichwort: „Stecken alle unter einer Decke“. Diese Gleichung „Der Prüfer geht zu seinen Prüflingen“ muss daher weiter erschwert oder zumindest transparenter werden, z.B. mittels Verschärfungen des arbeitsvertraglichen Wettbewerbs- und Konkurrenzverbot auf mindestens drei Jahren;  oder um Ansprüche auf Rückzahlungen bzw. Erstattungen sowie um Offenlegungen von dieser Dokumente, falls möglich.

Hierbei möchte ich betonen, dass die BaFin ein überaus guter Arbeitgeber zu sein scheint. Es lohnt sich zu ihr und zu ähnlichen Behörden zu wechseln, statt wegzugehen.

Für Informatiker, Mathematiker, Data Scientists, Bilanzbuchhalter, Controller, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, FinTech-Unternehmer, Risikomanager, Justiziare, Corporate Governance-Mitarbeiter und Investment Banker könnten die BaFin oder ähnliche Institutionen reizvoll sein. In ein Beamtenverhältnis wechseln zu können, klingt angesichts der Massenentlassungen und der Schnelllebigkeit in der Banken-, aber auch in der Start-up-Szene doch sehr gut. Nicht zu vergessen die Vorteile in der Altersversorgung durch die vergleichsweise hohe Pension und die Beihilfe in der Krankenversicherung. Um eine vergleichbare Monatsrente im mittleren vier- bis fünfstelligen Bereich zu erhalten, muss man in der freien Wirtschaft und bei den freien Berufen schon sehr viele Stufen erklommen und dann auch lange drauf gestanden haben. Und wenn das nicht reicht, halte ich es für empfehlenswert eine Wechselprämie für die o.g. Berufsgruppen einzuführen.

Auch eine Studienfinanzierung, wie es bei der Bundeswehr oder bei ZITIS angeboten wird, halte ich für zielführend, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu profilieren und weitere, kompetente Leute an Bord zu holen.

Familienfreundlich ist die BaFin obendrein: Es gibt spezielle Eltern-Kind-Büros, am Bonner Standort gibt es einen eigenen Kindergarten für die Altersgruppe 3 bis 6 Jahre und am Frankfurter Standort Frankfurt besteht eine eigene Betriebskindertagesstätte.

Bislang arbeiten bei der BaFin um die 2600 Mitarbeiter. Auf Disziplinen verteilt führen Juristen vor Wirtschaftswissenschaftlern vor Mathematikern, Informatikern und anderen Fachpersonen. Übrigens liegt das Verhältnis von Männer zu Frauen bei knapp 50:50.

Dass die BaFin aus vielen Juristen besteht, finde ich übrigens richtig. Ihr relativer Anteil kann gerne verringert werden, aber bitte nicht im Absoluten angesichts der Masse an verschiedenen Gesetzeswerken und dessen regelmäßige Erneuerung, z.B. in Bezug auf das Kapitalanlagegesetzbuch, das Kreditwirtschaftsgesetz, das Versicherungsvertragsgesetz, das Steuerrecht, die Rechnungslegungsstandards, das Bilanzkontrollgesetz sowie Basel III und Solvabilität II, um nur einige Gesetzestexte zu nennen.

Ferner halte ich eine deutliche Erhöhung von Bußgeldern bei Verstößen gegen das VIB für sehr geeignet und dringend geboten. Dann lässt sich es weder in die Finanzpläne der Start-ups mitbudgetieren, noch ignorieren. Wenn sich Bußgelder aber weiterhin in einer Bandbreite bewegen, wie die 10 Euro für’s falsch Parken für einen Multi-Millionär, dann besteht wenig Anreiz, sich gesetzeskonform zu verhalten.

Ebenso plädiere ich für das Ende der zweistufigen Bankenaufsicht, die es so nahezu nur noch in Deutschland gibt. Ihre Aufsichtstätigkeiten, also von Bundesbank und BaFin, überschneiden und wiederholen sich häufig, schließlich verfolgen Beide als Aufsicht die gleichen Ziele und bedienen sich nahezu deckungsgleichen Methoden und Informationsquellen. Da scheint es doch nur folgerichtig zu sein, dies alles unter einem Dach zu bündeln. Insbesondere damit im Informationsfluss zwischen allen Akteuren nichts verloren geht. Überdies würde es den organisatorischen Aufwand zwischen den beiden reduzieren.

Für überfällig erachte ich die Aufnahme der IT-Sicherheit bzw. Informationssicherheit und den Datenschutz in den Kriterienkatalog darüber, ob ein Finanzprodukt oder ob die verschiedenen Marktakteure erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz aufwerfen. Die Frage danach, ob z.B. eine Finanzapp geschützt ist vor dem Zugriff Außenstehender ist schließlich genauso wichtig wie Fragen zum Rendite-Risiko-Verhältnis, zur Marktliquidität oder zur geschäftlichen Lage des Emittenten. Fehlen gewisse technische Sicherungsmaßnahmen, sind Finanzinstitute weder nach ISO 270001, noch nach dem BSI Grundschutz zertifiziert oder ist kein CISO benannt, sollte die BaFin mittels einer Produktinterventionsmaßnahme einschreiten dürfen.
Auch eigene Pentests (kurz für Penetrationstests) durchzuführen bzw. diese an spezialisierte Anbieter zu delegieren, wäre sinnvoll. Denn während man die ökonomische Stabilität von Versicherungen und Banken simulieren kann, indem man andere Werte für Forderungsausfälle, Zinssätze und Dergleichen einsetzt, lässt sich die Stabilität einer Technik nur real testen. Den Crashtest beim Auto macht man ja auch nicht am PC.

 

 

Apropos Digitalisierung

 

Dort, wo Algorithmen, vor allem die selbstlernenden, die Entscheidungen fällen, wird die BaFin das Procedere bestimmen müssen. Unter dem Stichwort „MA Algo“, was für Mindestanforderungen an Algorithmen steht, befasst sich die Behörde bereits damit, ist sich aber noch unsicher, wo genau sie ansetzen soll, kann und darf. Dass sie einen Algorithmus-TÜV wird einführen müssen, ist klar, die Frage ist nur wo genau. Geht es um jeden einzelnen Algorithmus, um seine Entscheidungen oder um den ganzen Entscheidungsprozess, bei dem ein Algorithmus durchaus nur ein Teil des Ganzen darstellt? Wenn von den ausländischen Plattformriesen und Cloudanbietern wie Google, Apple, Amazon, Paypal und viele mehr – die ja zudem zumeist in den USA, Luxemburg, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich, diversen Inselgruppen und Kleinstaaten oder in skandinavischen Ländern sitzen – Zahlungen abgewickelt, Kredite vergeben, Zinssätze bestimmt, die Kundendaten ausgewertet und die Bonität ausgerechnet werden, dann verschwimmen die Grenzen darüber was eigentlich ein Finanzinstitut ist und es entsteht an vielen Fronten ein Wirrwarr: Bei den Anbietern, bei den Kunden und bei den Aufsichtsbehörden selbst. Noch nie war und vor allem bleibt die Zeit so reif, der BaFin noch ein paar mehr Zähne in ihr Gebiss zu setzen…

 

Die Regulierung von Leerverkäufen

 

Mit diesem dringenden Appell, die BaFin weiter zu stärken, leite ich auf die Problematik von Leerverkäufen über und biete auch hier Lösungsansätze an. Vorab möchte ich klarstellen, dass ich Leerverkäufe nicht verteufele. Sie müssen „lediglich“ besser reglementiert und geahndet werden können.

Was der Gesetzgeber unter Leerverkäufe versteht, welche Pflichten er den beteiligten Parteien auferlegt und welche behördlichen Eingriffe er wann vorsieht, steht in der EU-Verordnung 236/2012. Sie ersetzte bis dato einzelne Vorschriften der EU-Mitgliedsstaaten und wurde im Nachgang zur Finanzkrise 2008 erlassen. Seitdem blieb sie unangetastet, was vor dem Hintergrund vielzähliger sogenannter Short-Attacken allein auf dem deutschen Börsenparkett dringend geändert werden muss. So wurden die Eigentümer des IT- und DAX-Unternehmens Wirecard in den letzten Jahren mehrmals Opfer der perfiden Kombination aus Leerverkäufen mit medialen Verleumdungen. Ebenfalls die Pro7Sat.1-Mediengruppe, die Beteiligungsfirma Aurelius oder der Werbevermarkter Ströer sahen sich Short-Attacken ausgesetzt, und diese Aufzählung stellt nur einen Auszug dar. Auch bei z.B. Evotec, Dialog Semiconductor und weiteren Börsenfirmen führten Leerverkäufe zu einem Gefühlsgemisch aus Wut, Unverständnis, Verdruss, Zynismus und Panik zuzüglich den finanziellen Einbußen und dem Vertrauensverlust in die Behörden und den Kapitalmarkt als Solches.

Daher folgen nun Vorschläge, mit den sich die Zielsetzungen sowohl dieser EU-Leerverkaufsverordnung selbst, als auch die der begleitenden Gesetze, u.a. die Richtlinien 2014/65/EU (zum Finanzmarkt) und 2014/57/EU (zum Marktmissbrauch) sowie die Europäische Finanzmarktverordnung 600/2014 und das deutsche Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) besser erreichen ließen. Es sind Vorschläge, mit denen dem Anlegerschutz mehr Rechnung getragen wird und die den Aufsichts- und Ermittlungsbehörden und Gerichten ihre aufklärerische, bestrafende und abschreckende Tätigkeit erleichtern.

Die EU und der deutsche Staat können ihre Behörden stärken, indem sie die Transparenzvorschriften verschärfen. Dies ist leicht umsetzbar, kostengünstig und erfolgreich in anderen Staaten erprobt. Die vom Gesetzgeber beabsichtigen Effekte, wie Stabilität und Integrität lassen sich nicht anders erreichen. Das aktuelle Transparenz- und Strafmaß hat eindrucksvoll belegt, wie unzureichend und hinderlich es hierfür ist. Man kann die verfehlte Zielerreichung der Verordnung förmlich nachlesen: Wie im Kapitel 1 der 236/2012-Verodnung steht, sollte der Anwendungsbereich dieser Verordnung „so weit wie möglich gefasst sein, damit ein präventiver Regelungsrahmen für Ausnahmesituationen geschaffen werden kann“. Ferner damit die Behörde „bei Bedarf prüfen kann, ob Leerverkäufe systemische Risiken verursachen, marktmissbräuchlich eingesetzt werden oder zu Marktstörungen führen könnten“. So lauten zwei Ziele dieser Verordnung. Und im Realitätscheck lässt sich festhalten: Ganz offensichtlich ist der Anwendungsbereich der 236/2012er noch nicht weit genug gefasst, um sowohl den o.g. vorbeugenden Regelungsrahmen, als auch den Behörden eine ausreichende Prüfung zu ermöglichen.

Insbesondere manipulative Leerverkäufe könnte man mit neuen Transparenzvorschriften besser aufklären und bestrafen und ggf. sogar entgegenwirken.

Optimal fände ich es, wenn auch Leerverkaufstransaktionen zu melden wären und nicht nur Netto-Leerverkaufspositionen. So ist es in Australien der Fall. Zudem müssten die Melde- und Veröffentlichungsgrenzen gesenkt werden. Den Schwellwert zum Melden könnte ruhig auf 0,02% des Aktienkapitals des leerverkauften Börsenunternehmens fallen, wie es auch am Hongkonger Finanzplatz der Fall ist. Die Grenze zur Veröffentlichung würde ich auf 0,2% von gegenwärtig 0,5% des Aktienkapitals des leerverkauften Börsenunternehmens herabsetzen. Sogenannte Market-Maker können hiervon befreit bleiben, da sie Bereitsteller von Liquidität und keine jener Short-Seller sind, die den Kurs auf perfide Art beeinflussen.

Unterlegt wären die Meldungen und Veröffentlichungen von einem Echtzeit-Reporting. „Realtime“ ist ohnehin eines der Lieblingswörter im Finanzsektor, sei es als „Überweisung in Echtzeit“ oder in ihrer Paradedisziplin des Hochfrequenzhandels. Veränderungen der LV-Quote erst am Nachmittag des Folgetages und dann teilweise noch per Fax einzureichen, ist nun wirklich nicht mehr zeitgemäß. Wenigstens ein Same-Day-Reporting hätte Standard zu sein. Vor allem, da sich die Netto-Leerverkaufsposition im Intraday-Handel gut verändern lassen, ist es entsprechend wichtig und richtig, die Tagestransaktionen nachvollziehen zu können. Und wehe es erhebt nun jemand den Zeigefinger und mahne, ein solcher Datenaustausch sei technisch zu aufwendig und die Implementierung zu schwierig. Noch lächerlicher geht es ja wohl nicht, angesichts dessen, dass der Börsenhandel die wohl automatisierteste und digitalisierteste Branche der Welt ist. Der Finanzsektor kann sich so einen Datenaustausch sehr wohl leisten und auf politischer Seite ist es doch en vogue für das digitale Aufrüsten seiner Behörden Geld auszugeben. Zur Not stellen die Hedgefonds noch weitere Praktikanten an, die die Meldungen vornehmen. Nicht zu vergessen das Totschlagargument: Zur Abschreckung, Aufklärung und Bestrafung von Kriminalität darf nichts zu aufwendig sein.

Erhöhte Transparenz und beschleunigter Datenaustausch hätte ebenfalls für die Wissenschaft Vorteile, da so die Maßnahmen und Wirkungen besser, bzw. überhaupt erst mal, empirisch untersucht werden könnten. Rund um das Thema Leerverkäufe ranken sich ja viele Gerüchte, Vorwürfe und Vorurteile auf beiden Seiten, die erst durch Markttransparenz verifiziert oder falsifiziert werden könnten. Es ist eindeutig auch im Interesse der Finanzindustrie, wenn die Politik anhand einer guten Datenbasis die richtigen Entscheidungen trifft, statt in Aktionismus zu verfallen, wie während der Finanzkrise, als vor allem die US- und UK-Behörden Leerverkäufe unterbanden. Wie will man Erkenntnisse zu einem Thema gewinnen und damit auch die Datenbasis für zukünftige und vor allem die besten Entscheidungen legen, wenn man die Datenerhebung quasi verunmöglicht? Wer so agiert, der kastriert sich auch, um sich fortzupflanzen. Sich erhöhter Transparenz zu verweigern, ist also völlig absurd.

Vor allem, um es nochmal in Erinnerung zu rufen: Nicht in den ausländischen Hedgefonds, sondern in den von Short-Sellern attackierten Börsenunternehmen vom Dax bis zum M:access ist nicht irgendein Geld angelegt, sondern das versteuerte Geld der Bürger und Bürgerinnen, die damit direkt oder indirekt ihre Altersvorsorge finanzieren und Versuche unternehmen, Vermögen aufzubauen und zu erhalten sowie unternehmerische Wertschöpfung ermöglichen.

Und es ist ja so, dass Leerverkäufe das wohl schlechteste Rendite-Risiko-Verhältnis aufweisen, das der Kapitalmarkt bietet. Verkauft man leer, lässt sich nur im Fall einer Insolvenz des von Leerverkauf betroffenen Unternehmens und selbst dann nur maximal 99,999999% Gewinn erzielen. Dem gegenüber steht jedoch immer die Möglichkeit eines unendlich hohen Verlustes entgegen. Ausgerechnet dieses Geschäft soll weiterhin so lax vom Gesetzgeber bedacht werden? Da ist ja das klassische Glücksspiel mit gleichfalls schlechtem Rendite-Risiko-Verhältnis besser reglementiert und ich wüsste nicht, dass es der Glücksspielbranche dadurch schlechter ginge. Die Modifizierung der 236/2012-Verordnung wäre so gesehen der Fürsorgepflicht des Staates geschuldet, wenn Gesetze Ironie zuließen…

Auch lassen sich Short-Spekulationen nur erfolgreich abschließen – erfolgreich im Sinne von möglichst hohem Kurssturz – durch mediale Mithilfe. Leerverkäufer haben ja ein Interesse daran, dass ihre Einschätzungen (die zumeist irreführend, übertrieben, undurchsichtig und bewusst im Konjunktiv formuliert sind) publik werden, damit die sich von ihnen erhofften Kursrückgänge auch einstellen. Die Medien werden also als Helfershelfer benutzt und angesichts des beklagenswerten Zustandes und Verhaltens der Finanz- und Wirtschaftsmedien – ich verweise auf die Fremdschäm-Artikel der Journalisten Heinz-Roger Dohms und Felix Holtermann bezogen auf Wirecard – erscheinen sie als freudiger und dankbarer Teil der Panik- und Vorwurfsmaschinerie. Durch niedrigere Schwellwerte zur Veröffentlichung von Leerverkaufspositionen und –transaktionen gäbe man der boulevardesken Finanzpresse mehr Fleisch an ihren Spekulations- und Interpretationsknochen. Auch würde die effektive Preisfindung an den Aktienmärkten gestärkt, da ja die Marktöffentlichkeit nun besser informiert sei. Und gilt nicht gerade an den Kapitalmärkten das Credo der Informationsgleichheit? Daher muss man gegen hohe Leerverkaufs-Intransparenzen genauso rigide vorgehen, wie gehen Insiderhandel.

Wer nun meint, Anlagestrategien müssten aber geheim bleiben, dem sei gesagt, dass dies erneut sehr fadenscheinig ist. Genauso wie Wikifolios und Fonds, die ihre Strategie zumeist direkt im Titel tragen, oder wie Investorengrößen wie Warren Buffett und Co. ihre Investmentansätze und –gründe in Büchern, Videos, Auftritten und Interviews regelmäßig erläutern, spricht auch nichts dagegen dies von short-eingestellten Investoren und Spekulanten einzufordern. Zumal die Melde- und Veröffentlichungspflichten ja eh im Nachhinein angegeben werden. Von einem Ausplaudern der Strategie kann keine Rede sein, da die Strategie zu diesem Zeitpunkt bereits umgesetzt ist. Und welcher Investor setzt nicht auf Nachahmereffekte? Ein sogenannter Shortie würde sich doch freuen, wenn viele weitere Anleger ebenfalls jenes Unternehmen shorten, so wie er es zuvor tat.

 

 

In Short-Squeezes wird auch keiner getrieben; da ein Short-Squeeze wie er im Rahmen des Übernahmeversuches von VW durch Porsche erfolgte, auf so seltene Begebenheiten fußt, dass man eher von einem herausgeworfenen Fernseher in einem 100-Seelen-Dorf getötet würde. Und wer auf fallende Kurse spekuliert und sich damit verspekuliert hat nun mal Pech gehabt und muss die Schuld bei sich selbst suchen, statt verschwörungstheoretisch zu meinen, dies wäre nicht passiert, wenn seine Leerverkäufe im Verbogenen ablaufen könnten. Jede Wette birgt das Risiko, dass man verliert…

Ebenso energisch trete ich Vorbehalten entgegen, die Panikreaktionen durch erhöhte Transparenzvorschriften prophezeien. Wer auf Prophet macht, soll sich Jünger suchen; wer Argumente sprechen lassen will, bedient sich Plausibilitäten. Und es ist deutlich plausibler, dass man Panik am ehesten entgegenwirken kann, je mehr Informationen vorhanden sind; sprich, je transparenter es zugeht. Dies ist vertrauensbildend.

Apropos vertrauenswürdig: Dies trifft am allerwenigsten auf die Initianten von Short-Attacken zu. Die möchten ihre Identität so verschleiert, wie nur möglich, wissen. 2016 sah sich Wirecard schwerwiegenden Vorwürfen eines völlig anonymen, neuen und selbsternannten Researchhauses namens Zatarra ausgesetzt und 2019 bezog sich der Journalist Dan McCrum von der Financial Times für seine Kampagne gegen Wirecard auf Material eines angeblichen Whistleblowers. Untypisch für Whistleblower war hier allerdings, dass Fehlen von Beweisen, ja, noch nicht mal handfesten Indizien für die von McCrum aufgestellten Vermutungen. Die Artikelserie wurde durchweg vage formuliert und auf konkrete Aussagen wurde gänzlich verzichtet. Während die Ermittlungen gegen den Journalisten und den Verlag wegen Marktmanipulation noch andauern, wurde das Verfahren gegen Zatarra gute zwei Jahre nach dem Short-Angriff eingestellt. Es kam zu einer Geldstrafe im fünfstelligen Bereich gegen Fraser Perring, der nicht nur eine anrüchige Vita besitzt, sondern mit einem anderen Vehikel namens Viceroy ebenfalls mehrfach Short-Attacken ritt bzw. dazu dienliche Analysen veröffentlichte, deren Wahrheitsgehalt mit postfaktisch gut beschrieben ist.

Daniel Yu, der die Short-Attacke gegen Aurelius ritt, war ebenfalls ein verurteilter Straftäter; und der Wahrheitsgehalt seiner Analyse gegen Aurelius tendierte ebenso gegen Null. Es ist typisch für Short-Attacken, dass ihre erhobenen Vorwürfe mehrheitlich, leicht aufgerundet sogar gänzlich, widerlegt werden konnten. Diese sogenannten Researchhäuser haben eine solch niedrige Trefferquote, dass ich gut verstehen kann, weshalb man aberdutzende und schwammige Vorwürfe aufstellt, um überhaupt einen einzigen Glückstreffer landen zu können und diesen dann glorifiziert.

Wie sollte es auch anders sein, denn schließlich sind wir nicht mehr am „Neuen Markt“ und weder eine Börsennotiz, noch ein Testat bekommt man hier geschenkt. Wer hier Skandale aufdecken will, ist entweder fehl am Platze oder hängt die Messlatte für Skandale so niedrig, dass schon falsch gesetzte Kommata zu Rücktritte führen müssten. Dann doch lieber die Messlatte niedrig für Melde- und Veröffentlichungspflichten von Leerverkaufsquoten setzen. Ist einfacher, effektiver und vor allem für die Behörden nützlicher, um ihre geringe Aufklärungsquote zu verbessern.

Umso trauriger ist es, dass trotz der niedrigen Trefferquote dieser Short-Attacken, ihre Auswirkungen so dramatisch sind. Innerhalb weniger Minuten stürzen die Aktienkurse um zweistellige Prozente ein, vernichteten Milliarden Euros an Börsenwert und vor allem an Depotwert. Entweder erlitt man Buch- oder Realverluste, und in jedem Fall war man machtlos und überrumpelt. Solch perfide Shortseller sind Raubritter des Sparvermögens privater Bürger und Bürgerinnen und nichts anderes. Ihre Vorgehensweise ist deckungsgleich mit Bankräubern: Sorgfältig geplant, blitzschnell ausgeführt und gut maskiert. Und genauso wie man keine Bank mit einem Motorradhelm auf dem Kopf betreten darf, muss man den Short-Sellern die Verschleierung nehmen. Neben erhöhten Transparenzpflichten, um besser aufzudecken, wer welche Aktien wann verlieh und leerverkaufte, sind auch verschärfte Strafen notwendig. Anonymität per se sollte ein Straftatbestand sein und die Bußgelder für Marktmanipulation müssen drastisch erhöht werden. Ideal wäre ein Bußgeld von nicht unter einer Million Euro bis zu 50% des gesamten Jahresumsatzes des jeweiligen Short-Sellers. Klar, dies kann nicht allein mit der LV-Verordnung geregelt werden, sondern nur, wenn auch die bereits weiter oben erwähnten Gesetzeswerke entsprechend modifiziert würden.

Solange die Short-Seller weder eine Aufdeckung, noch eine abschreckende und wirkungsvolle Bestrafung bei Aufdeckung zu befürchten haben, ist diesen modernen Raubrittern Tor und Tür geöffnet.

Ebenfalls sind ihre „Komplizen“ mit erhöhten Transparenzanforderungen und Bestrafungen zu belegen. Hierzu zählen einerseits die Presse, andererseits die Fonds und Broker. Der Pressekodex sollte für Wirtschafts- und Finanzmedien ergänzt und verschärft werden. Diese Publikationen haben Interessenskonflikte deutlicher anzugeben und wie es auf SeekingAlpha gehandhabt wird, finde ich es sehr nachahmungswürdig. Zwar wurden die „Journalistische Verhaltensgrundsätze und Empfehlungen des Deutschen Presserats zur Wirtschafts- und Finanzmarktberichterstattung“ erst kürzlich am 11.9.19 modifiziert, doch wie ich in meinen anderen Essays beschrieb, ist  insbesondere die Börsenpresse wegen ihrer Funktionsweise „bad news pays off“ extrem anfällig, selbst zum Opfer von Short-Attacken zu werden. Ihre Glaubwürdigkeitskrise verschärfe sich nur noch weiter, und das ist für seriöse Journalisten und Anleger nur nachteilig. Die sog. „2-Wochen-Sperrfrist“ für Erwerbe und Veräußerungen von z.B. Aktien auf vier Wochen zu verlängern, halte ich für angebracht. Nur so kann man sie glaubwürdig als zeitlich unmittelbare Profiteure ihrer Veröffentlichungen ausschließen. Ebenso nötig erachte ich ein verlagsinternes Register, in dem die festen und freien Redakteure sowie die Verlagseigentümer und -geschäftsführer den Besitz ihrer Aktien angeben müssen. Nicht in Stück, sondern einfach nur, ob. Auch ein Notar könnte dazwischen geschaltet werden.

Auch Fonds und Broker sollten Melde- und Veröffentlichungspflichten unterworfen werden hinsichtlich Wertpapiere aus ihrem Bestand, die sie weiterverleihen. Dass die Wertpapierleihe explizit kein Bestandteil der EU-Leerverkaufsordnung ist, erachte ich für eine eklatante Schwäche.

Sie mögen es als weithergeholt erachten, ich jedoch wünsche mir, dass Leerverkaufstransaktionen, angefangen bei der Leihe, lückenlos nachvollziehbar werden: Wer hat wann wie viele Aktien von wem zu welchen Vertragsbedingungen erhalten und veräußert? Wie jede andere Lieferkette auch, hat sie zurückverfolgbar zu sein.

Und dazu bedarf es längst keine Rückkehr zu Namensaktien, sondern primär erhöhte Transparenz.

Wünschenswert wäre zudem eine deutliche Kennzeichnungspflicht eines sogenannten Margin-Kontos bei den Brokern. Viele Privatanleger wissen nicht, dass die Aktien in ihrem Depot quasi nur eine elektrische Zahl darstellen. Bei vielen Depots der Broker, wie z.B. Degiro, Interactive Broker (IB), Flatex oder Consors handelt es sich um Margin-Konten. Damit haben diese Broker und Banken das Recht die Aktien gegen eine Gebühr zu verleihen. Die Broker poolen sozusagen die Aktien ihrer Kunden, und aus diesem Pool werden sie verliehen. Will der Depotinhaber seine Aktien verkaufen, so zwingt er entweder den Leerverkäufer, die geliehenen Aktien zurückzugeben; oder er schreibt dem Depotinhaber den Marktwert seiner Aktien gut. Er bekommt also den Verkaufserlös in jedem Fall, jedoch bleibt er in Unkenntnis darüber, ob seine Aktien zwischenzeitlich verliehen und ob damit Nebenerlöse in welcher Höhe erwirtschaftet wurden. Da diese Praxis oftmals nicht dem Willen des Depotinhabers entspricht, halte ich eine deutliche Kennzeichnungspflicht von Margin-Konten, über die Beschreibung in seitenlangen AGBs hinaus, für erforderlich.

Und damit findet dieser Essay nun sein Ende.

Trotz seines Umfangs, hat er das Thema sicherlich nicht vollständig abdecken können. Es ging mir hauptsächlich darum, ein Plädoyer für noch stärkeren Anlegerschutz zu veröffentlichen sowie Anregungen für die dringend notwendige Anpassung der EU-Leerverkaufsordnung an die Realität zu geben.

 

 

Quellen:

 

 

 

9 Kommentare

  1. Helm

    Der Beitrag geht in die richtige Richtung. Ja Transparenz ist die einzige mögliche Antwort auf diese verwerflichen und teils kriminellen Aktionen.

    Nur eins die Consorsbank verleiht keine Aktien der Depotinhaber. Mag sein es gibt auch noch ein Marginkonto, aber die meisten Depots sollten normale „Depots“ sein. Da wird nichts verliehen. Bitte korrigiert dies in dem Beitrag und verunsichert hier nicht noch mehr Anleger. Es ist aber jeder selbst gefordert seine Bank oder Broker zu finden.

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  2. Helmut Lachmann

    Der Beitrag von Herrn Gemke war in jeder Beziehung erhellend. Schockiert bin ich über die Ausführungen zum Gebaren von Brokern und depotführenden Banken, die Depots ihrer Kunden als Margin-Konten zu führen und die Wertpapiere ohne das Wissen der Kunden an Shortseller gegen Gebühr zu verleihen. Das dieses Gebaren rechtlich in Ordnung sein soll, halte ich für einen Skandal und ich werde für mich die Konsequenz ziehen, ein Depot bei einem solchermaßen agierenden Broker aufzulösen. Insofern gestatten Sie mir die Bitte, alle, wirklich alle Broker, die so agieren von Ihnen beim Namen genannt werden.

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    1. Marco Dargel

      Zitat
      “ Schockiert bin ich über die Ausführungen zum Gebaren von Brokern und depotführenden Banken…..“

      Banken machen und können das nicht. Das ist falsch. Wenn man ein normales Aktiendepot bei einer Bank hat, treten Banken nur als Vermittler von Aktiengeschäften auf. Sie kommen nicht in den Besitz von Aktien. Für Deutsche liegen die Aktien bei Clearstream. Dort wechseln Aktien nur den Besitzer, wenn es zwei bestätigte Abrechnungen vorliegen, sowohl für den Kauf als auch für den Verkauf desselben Aktienhandels. Banken können daher gar nicht diese Aktien verleihen. Sie besitzen die Aktien nicht. Nur der Depotinhaber kann Aktien aus seinem Depot verleihen. Die Aussage, die Consorsbank verleihe ohne Wissen ihrer Kunden Aktien ihrer Kunden ist falsch. Aktien sind Sondervermögen. Die Bank hat keinen Zugriff darauf.
      Damit eine Depotbank meine Aktien verleihen kann, müsste ich diesem erstmal zustimmen und das geht nicht über AGBs. Es würde gehen, wenn ich Aktien für einen Kredit verpfände.

      Anders sieht die Sache erst aus, wenn ich ein Margin Konto halte. Das wird mir aber nicht einfach so untergejubelt. Wenn ich ein Margin Konto halte, bin ich allerdings hochspekulativ unterwegs und vermutlich schneller pleite, als das jemand meine erworbenen Aktien verleihen kann. Wenn man ein Margin Konto eröffnet, sollte man sich schon alles durchlesen. Bei einer normalen Bank bekommt auch kein Börsenneuling einfach so ein Margin Konto.

      Ich bin Kunde bei der Consorsbank und habe kein Margin Konto untergejubelt bekommen. Meine Aktien werden nicht verliehen. Meine Bank hat keine Verfügungsgewalt über meine Aktien.

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      1. PM

        Ja, der Anleger selbst kann nur in LVs agieren, sofern er ein Marginkonto/-depot hat. Okay.

        Aber für die Bank, also für Consors selbst gilt dies auf S. 12 der AGBs ( https://www.consorsbank.de/content/dam/de-cb/editorial/PDF/Transversal/AGB/agb-verbraucherinformationen-gueltig-ab-20190914.pdf ):

        „Vorbehaltlich einer entsprechenden Vereinbarung mit dem Kunden ist es der Bank gestattet ist gestattet Leerkäufe, Käufe mit geliehenen Mitteln, die zeitlich begrenzte Veräußerung von Wertpapieren oder jegliche andere, Margin-Zahlungen, Garantieeinlagen oder ein Wechselkursrisiko bein-haltenden Transaktionen durchzuführen,…“

        Mag aber auch sein, dass bei Consors mal Leerverkäufe erlaubt waren, und jetzt nicht mehr. Die ändern ja regelmäßig die AGBs, ab 1.1.2020 gibt es wieder andere, wie auf deren Webseite steht.

        Und bei Degiro ist es auf jeden Fall so, die haben die Verfügungsgewalt über deine Aktien, und zwar bereits beim Einstiegsdepot.

        Ich glaube darum ging es Hr. Gemke auch. Dass einige Broker sich ziemlich frei bedienen können, aber ihre Nutzer erst teure Depotvarianten haben müssen oder zumindest eine gew. Erfahrung, bevor sie ebenfalls Leerverkäufe tätigen können.

        So oder so, gibt es noch einiges zu regulieren.
        Damit könnte Scholz punkten, nicht mit seiner Aktiensteuer für Kleinaktionäre…

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        1. Marco Dargel

          Ich weiß nicht, ob ich hier unterschlagen wurde. Es fehlt eine Meinung von mir. Allerdings möchte ich darauf nochmal ausdrücklich hinweisen. dass dieses Thema nicht neu ist. Es kam 2009 nach Lehman auf, weil dort verliehene Aktien verloren gingen. Das war dann der Burner in jeder Communitiy, ob Banken die Aktien von Depotinhabern ohne dessen Wissen verleihen können. Was die Medien damals unterschlagen hatten, war dass Lehman Kunden sich einverstanden erklären mussten, dass ihre Aktien verliehen wurden. Ich sage es nochmal. Aktien in Deutschland bei einer Bank können nicht einfach so verliehen werden. Die Aktien liegen nicht bei der Bank. Hört auf mit dieser Panikmacherei. Sagt erstmal, das geht nicht. Ich sage es. Ich bin Kunde der Consorsbank und bei mir geht es nicht. Ich wiederhole mich, aber egal. Hört auf damit Unsinn zu schreiben und Leute verrückt zu machen.

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  3. E.H.W.

    Sehr geehrter Herr Thiel,
    herzlichen Dank für den erhellenden Beitrag von Herrn Gemke. Gerade die durch durch Finanzjournalisten
    herbeigeredeten Ungereimtheiten bei der Firma Wirecard haben mich derart verunsichert, dass ich die Aktie mit leichtem Verlust verkauft habe. Viele Kleinanleger kehren nach bitteren Erfahrungen durch modernes Raubrittertum der Börse den Rücken. Schade!. Ich selbst überlege den überwiegenden Anteils meines Depots in ETF anzulegen oder gar einem Robotadvisor wie“ Scalable“ oder“Oscar“ anzuvertrauen, um meine Nerven zu schonen. Etwa 5-10% meines Depotwertes werde ich dann noch wie bisher, hoffentlich mit Freude, in Einzelaktien , z.T. mit Orientierung an Ihrem Wikifolio “ Global Champions“ , anlegen. M.f.G. E.H.W.

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    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Wem Einzelaktien zu anstrengend sind, der sollte zum einen überlegen, ob er die riskanten Werte möglicherweise zu hoch gewichtet hat. Aber des ist absolut legitim, auch über ETFs nachzudenken. Scalable befürworte ich aus verschiedenen Gründen nicht, unter andrem die – mit Verlaub – absolut unbefriedigende Wertentwicklung der dort angelegten Gelder. Jeder ETF auf den MSCI World ist besser.

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  4. Axel Fehr

    Viele Finanzinstrumente machen Sinn, welchen Sinn machen Leerverkäufe? Warum reichen Puts nicht aus? Ich vestehe das tatsächlich nicht, vielleicht gibt es erhellende Einsicht.
    Jemand der schreibt „fragt man 2 Ärzte, erhält man 3 Einschätzungen“, lässt bei mir die Warnlampe angehen. Wer seriös ist braucht sich nicht so zu äussern.

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  5. PM

    Wow, dass nenne ich mal informativ.
    Endlich Schluss mit Behördenbashing.
    Und der regulative Verbesserungsbedarf wurde umfangreich dargestellt, hoffentlich findet dieser Artikel bei den Verantwortlichen die entsprechende Resonanz.

    Vertrauensbildende Maßnahmen wären ein Gewinn für alle.

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