Gerd Kommer: „Den Zeitpunkt eines Crashs kann man nicht zuverlässig voraussagen“

Die überarbeitete Neuausgabe von „Souverän Investieren“ ist da. Aus diesem Anlass hat grossmutters-sparstrumpf ein Interview mit Dr. Gerd Kommer geführt. Über Renditen, die Unmöglichkeit einen Crash vorauszusagen und die Überlegenheit von Buy-and-hold.

 

Grossmutters-sparstrumpf: Wann haben Sie das letzte Mal geschaut, wie gut sich Ihre Geldanlagen entwickelt haben?

 

Gerd Kommer: Wenn Sie damit meinen, wann ich zuletzt die langfristige Rendite genau berechnet habe, dürfte das schon drei oder vier Jahre her sein. Da ich aber seit gut 20 Jahren in Indexanlagen investiere, brauche ich eigentlich gar nicht so genau nachzurechnen, weil ich auch so gut Bescheid weiß. Mein Portfolio ist dem Weltportfolio, wie ich es in meinen Büchern beschreibe, sehr ähnlich. Es besteht zu etwa 80% aus global diversifizierten Aktien und zu 20% risikofreien Anlagen. Ich minimiere Kosten auf Teufel komm raus und praktiziere radikales Buy-and-Hold. Ich habe seit 20 Jahren nichts mehr verkauft, außer mal ein teures Indexprodukt gegen ein billigeres ausgetauscht.

Generell glaube ich, dass häufiges „hinschauen“, also täglich oder wöchentlich, für mich nicht viel bringt und für die Mehrheit aller Anleger kontraproduktiv ist. Das hat mehrere Gründe. Einen von ihnen zeigt die Behavioural Finance-Forschung, Stichwort Myopic Loss Aversion.

 

Wie hoch ist Ihre Performance im vergangenen Jahr ausgefallen?

 

In 2017 waren es ungefähr 11% nach Kosten und vor Steuern. Der größere Teil hiervon sind Kursgewinne, die ich erst in ferner Zukunft, vielleicht erst in 20 Jahren oder noch später, versteuern muss, wenn ich dieses Geld verbrauchen werde. Allerdings bedeutet die Rendite in einem einzelnen Jahr für mich nichts. Das sage ich nicht nur so. Mir ist es piep-egal ob ich 2017 oder in irgendeinem 12- oder 24-Monatszeitraum besser oder schlechter als der DAX oder eine andere bekannte Benchmark liege, weil ich weiß, dass das die notwendige Konsequenz meines Investmentansatzes ist.

Außerdem verbringe ich viel mehr Zeit damit, zu versuchen den Wert meines Humankapitals zu bewahren oder zu steigern als damit in meinem Portfolio herumzustochern. Humankapital ist der Marktwert meiner Arbeitskraft und meines Kopfes. Beim Humankapital spielt für die allermeisten Menschen die „Renditemusik“ – mehr als das in ihrem Portfolio jemals der Fall sein kann. Ausnahmen sind Menschen oder Haushalte, die sehr viel geerbt haben, die Sechs Richtige im Lotto hatten oder die schon im Ruhestand sind.

 

Sie sagten 11% im vergangenen Jahr. Das ist viel, verglichen mit dem, was Staatsanleihen derzeit abwerfen. Halten Sie selber auch Staatsanleihen im risikoarmen Teil ihres Depots?

 

Viel? Hätte ich 100% meines Portfolios in einen ETF investiert, der ganz banal den MSCI World Standard-Index repliziert, hätte ich in den letzten 12 Monaten deutlich mehr verdient, aber wie erwähnt, mir geht’s nicht um ein einzelnes Jahr. Investieren ist ein Ultra-Marathon, ein Langstreckenlauf über 100 km. Wer auf Kilometer 17 vorne liegt, muss nicht der sein, der am Schluss zuerst durchs Ziel geht.

Was Staatsanleihen anbelangt: Ja, ich halte Staatsanleihen. Der risikoarme oder „risikofreie“ Teil in meinem Portfolio besteht fast ausschließlich aus kurzlaufenden Staatsanleihen höchster Bonität in Euro. Dass ich mit diesem Portfolioteil, dem Risikoanker im Portfolio, in den letzten gut 18 Monaten nach Inflation, Steuern und Kosten kein Geld verdient habe, ist klar. Wer mit der risikoärmsten Anlage, die es gibt, nach Inflation, Kosten und Steuern langfristig Geld verdienen will, zeigt damit, sagen wir mal, verbesserungsfähige Kenntnisse in Kapitalmarkthistorie und Kapitalmarkttheorie. Ich habe zu den großen Missverständnissen um „Nullzinsen“ und „Anlagenotstand“ schon mal einen Artikel geschrieben (hier). In Souverän Investieren wird dieser Sachverhalt ebenfalls thematisiert.

 

Ich selber bin ein großer Fan des MDAX und des S&P 500. Das wären für mich die beiden ETFs meiner Wahl. Welche ETfs haben Sie?

 

Ein wesentlicher Teil meines Portfolios ist in so genannte Multi-Factor-Indexfonds investiert, die auch unter dem Namen Smart-Beta-Fonds bekannt sind. Konkret sind das Fonds der Firma Dimensional Fund Advisors. Es sind formal keine ETFs aber etwas sehr Ähnliches. Ein anderer beträchtlicher Teil meines Portfolios besteht ganz schlicht aus einem MSCI World- und einem MSCI Emerging Market-ETF, weil der Pensionsfonds des Unternehmens, für das ich von 2006 bis 2016 in London tätig war, keine anderen global diversifizierten Indexfonds anbot. Fonds, die „Faktorprämien“, wie Small, Value etc., übergewichten, wären mir an sich lieber gewesen. Dennoch lohnte sich das, weil diese Investments im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge in Großbritannien steuerlich stark gefördert wurden.

 

Ich rate Anlegern dazu, jedes Jahr eine Bilanz zu machen, damit sie wissen, wie gut es bei ihnen läuft. Empfehlen Sie das auch?

 

Ja, das ist eine gute Idee. Die meisten aktiv angelegenen Privatanleger, die das täten, würden feststellen, dass sie eine korrekt gewählte Benchmark in der Mehrzahl der Jahre unter-performen. Soweit das der Fall ist, wären sie besser dran, passiv in ETFs auf Buy-and-Hold-Basis zu investieren. Ähnlich verhält es sich mit Privathaushalten, die in Vermietungsimmobilien investieren. Die würden auch davon profitieren, die Eigenkapitalrendite ihres Investments einmal im Jahr zu berechnen, wenn sie es denn können. Hier wäre die „kann-das-wirklich-so-mickrig-sein-Überraschung?“ wohl genauso häufig.

 

Die Fondsbranche mag Ihre Werbung für ETFs gar nicht. In diesem Jahr ist eine Fülle von Artikeln erschienen, in denen ETFs als sehr gefährlich dargestellt wurden. Was ist davon zu halten?

 

95% dieser Artikel sind Nonsens mit oft haarsträubenden Logik- oder Datenfehlern  – darin geht es um die angeblichen „Strukturrisiken“ von ETFs und um das „systemischen Risiko für die Kapitalmärkte“ von „zu viel passiv investieren“. Fast alle kommen direkt oder indirekt von Vertretern des aktiven Managements – insofern überrascht ihre Message nicht. Versuchen Sie doch mal einen einzigen aktuellen Artikel von einem unabhängigen Wissenschaftler in einer renommierten Fachzeitschrift zu finden, der ein systemisches Gefahrenpotential in Indexfonds sieht oder der die ETF-Struktur als bedrohliches Risiko betrachtet. Ich habe gesucht und keinen gefunden.

 

Ich habe selber so einen Text in einer bekannten deutschen Tageszeitung gelesen – da wurde nur Vertreter der Fondsbranche gefragt, keine einzige Gegenmeinung wurde auch nur erwähnt. Wieso machen gestandene Journalisten so einen Unfug?

 

Finanzjournalisten sind ständig auf der Jagd nach neuen Horrorschlagzeilen, weil man damit sehr gut Auflagen oder Klickraten steigern kann. Oder glauben Sie, dass sich der Artikel „Schon wieder ein Jahr vorbei, in dem kein ETF-Anleger weltweit einen Schaden aus der ETF-Struktur erlitt“ verkaufen würde? Panikmache zieht da schon besser. Wenn die Fakten keine Horrorschlagzeile hergeben, dann muss man ein wenig nachhelfen. Das ist hier einfach, weil der Journalist in diesem Fall sowieso nur von „möglichen Gefahren und Risiken“ in der Zukunft reden muss. Wirklich belegen muss er nichts. Und – wie Sie erwähnt haben – irgendeinen „Chief-Investment-Officer“ von der Fondsgesellschaft Zacharias Zamperl wird sich immer finden, der bestätigt, dass ETFs den Untergang des Kapitalismus herbeiführen und außerdem Impotenz begünstigen.

 

Kommen wir zur Fragen aller Fragen: Kann man nach mehr als acht Jahren steigender Kurse Anlegern noch raten, ihr Geld in Aktien anzulegen? Keine Frage wird mir so oft gestellt wie diese. Das dürfte bei Ihnen nicht anders sein.

 

Der globale Aktienmarkt hatte Ende September 2017 ein KGV von 21 und ein Kurs-Buchwert-Verhältnis von 2,2. Das liegt über dem historischen Durchschnitt, aber nicht so dramatisch, wie es in den Medien und von einigen ewigen Untergangspropheten dargestellt wird, die uns seit fünf Jahren den unmittelbar bevorstehenden Crash predigen. Das so genannte Shiller-PE oder CAPE, das für Nordamerika eine extrem hohe Bewertung anzeigt, ist aus meiner Sicht in seiner konventionellen Form ein fragwürdiger Bewertungsmaßstab. Im Übrigen sind heute alle wichtigen Asset-Klassen „teuer“: Aktien, Immobilien, Anleihen. Bei Gold weiß kein Mensch, was ein „normales“ Bewertungsniveau sein soll. Rohstoffe sind wohl eher billig.

Aber hohe Bewertung hin oder her: Natürlich wird es irgendwann einen Aktien-Crash geben, entweder einen in Zeitlupe über fünf oder zehn Jahre oder einen klassischen, schnellen über 12 oder 24 Monate. Das ist ebenso banal wie sicher. Kann man den Zeitpunkt eines solchen Crashs zuverlässig vorhersagen? Nein. Kann man mit Crash-Timing zuverlässig und auf lange Sicht mehr Geld als mit Buy-and-Hold verdienen? Nein. Kann man mit Market-Timing im Allgemeinen mehr Geld als mit Buy-and-Hold verdienen? Nein. Kann man mit Crash-Timing zuverlässig weniger Geld verdienen als mit Buy-and-Hold? Ja. Wird irgendein Crash-Prophet den nächsten Crash korrekt vorhersagen: Ja. Gibt es eine Möglichkeit, zu beweisen, dass das Können war, statt nur Glück und Zufall? Nein. Haben solche wahr gewordenen Crash-Prognosen eine Relevanz für einen rationalen Anleger? Nein.

 

Der amerikanische Index S&P 500 ist von 2010 bis 2016 um sagenhafte 100 Prozent gestiegen. Inklusive Dividenden sind es sogar über 130 Prozent. Und das waren jetzt nur die Zahlen in Dollar. In Euro gerechnet sind es sogar etwas über 200 Prozent  inklusive der Dividenden. Die Anleger aber stehen zumindest in Deutschland nach wie vor an der Seitenlinie. Das wirkt grotesk.

 

Ja, die Deutschen als Nation haben, glaube ich, ein neurotisches Verhältnis zur Aktie oder vielleicht überhaupt ein gestörtes Verhältnis zu der banalen Tatsache, dass Rendite in erster Linie eine Kompensation für Risiko ist. Wer kein Risiko tragen will, kann keine Rendite erwarten. Die Briten und Amerikaner verstehen das intuitiv – auch ohne Financial-Literacy-Kurse in der Schule, die es dort ja auch nicht gibt. Ich glaube der Hauptgrund dafür ist, dass bis vor einigen Jahren verantwortungslose Politiker hierzulande die Fiktion verbreiteten, die staatliche Rente genüge als Altersvorsorge. Wenn diese Gehirnwäsche sich über zwei Generationen erstreckt, prägt sie die DNA der kollektiven Investment-Kultur. Daher verstehen viele unserer Landsleute den Risiko-Rendite-Zusammenhang weder bewusst, noch unterbewusst. Im Ergebnis verzichten Sie ganz aufs Investieren, sprich sie nutzen ein Sparbuch, oder sie investieren in ein Tagesgeld bei einer bulgarischen Bank. Dort gibt es ja einen „garantierten“ Ertrag, nämlich ein Dreiviertel Prozent – vor Steuern, Inflation und Risiko und alle 15 Jahre kippt die Bank um, aber vielleicht hilft ja die EU. Wer mehr Geld hat, macht in Immobilien, weil man da das Risiko – die laufenden Schwankungen der Eigenkapitalposition – nicht sieht. Riester-Anlagen sind ein anderes Beispiel. Die haben bekanntlich eine gesetzlich vorgeschriebene Kapitalgarantie. Damit ist ebenfalls garantiert, dass es keine nennenswerte Rendite geben wird. In Deutschland gibt es 16,5 Millionen dieser Verträge bei etwa 20 Millionen Haushalten im erwerbsfähigen Alter.

 

Wie wird die Zögerlichkeit der deutschen Privatanleger angesichts des Aktien-Booms enden? Steigen Privatanleger am Ende wieder dann ein, wenn die Kurse von Euphorie getrieben auf ihren Höhepunkt zustreben? Dann holen sich wieder Millionen von Privatanlegern ein blaues Auge.

 

Ich habe den Eindruck, dass die Zahl der Aktienanleger in Deutschland immer noch so niedrig ist und die Aktienskepsis so hoch, dass in dieser Hinsicht eigentlich nicht viel passieren kann, aber ich kann mich natürlich täuschen.

 

Im Internet sieht man jetzt eine Vielzahl an Dividendenblogs. Die behaupten alle, sie hätten eine super Performance – aber Belege dafür haben sie in der Regel nicht. Was halten Sie von Dividendenstrategien?

 

Dividendenstrategien und ihre enorme Popularität seit einigen Jahren sind aus meiner Sicht – sagen wir mal – „kurios“. Das „Alpha“, die relative Performance von Dividendenaktien in den letzten zehn Jahren war negativ: Der MSCI World High Dividend Yield-Index hat den normalen MSCI World-Standard-Index unterperformt. Der meines Wissens größte deutsche Dividendenfonds, der DWS Top Dividende, ist auch nicht berühmt für tolle Outperformance, jedenfalls nicht in den letzten Jahren. Dass Dividendenaktien besonders risikoarm sein sollen, ist ebenso ein Ammenmärchen. Aber auch Märchen lassen sich durch kreative Behandlung von Daten beweisen.

Die wirkliche Ursache der langfristigen historischen Mehrrendite von Dividendenaktien besteht darin, dass Dividendenaktien zwei echte, originäre Faktorprämien repräsentieren – die Value-Prämie und die weniger bekannte Profitability-Prämie. Mit anderen Worten, eine etwaige Mehrrendite von Dividendenstrategien geht auf andere ursächliche Faktoren zurück, die lediglich mit einer überdurchschnittlichen Dividendenrendite hoch korrelieren aber eben nicht mit ihr identisch sind. Wer diese Mehrrendite ernten will, kann es schlauer anstellen, indem er nicht den ineffizienten Umweg über Dividendenenaktien geht. Dividend-Investing ist ein gutes Beispiel für den Sieg von Marketing über Fakten. Immerhin: Dividendenaktien sind immer noch besser, als gar keine Aktien.

 

Eine der wichtigsten Fragen unter Bloggern ist die nach der finanziellen Freiheit. Sind Sie finanziell frei?

 

Bin ich finanziell frei? Keine Ahnung. Ich finde den Begriff der „finanziellen Freiheit“ nutzlos. Mir erscheint er nutzlos, weil jeder damit was Anderes meint. Dieses Terminologie- und Diskussionschaos müsste erst einmal jemand beseitigen, bevor ein fruchtbarer Diskurs um diesen Begriff herum entstehen kann. Die Advokaten der finanziellen Freiheit, unzählige Blogger und Buchautoren wollen aber diese terminologische Klärung und Disziplin gar nicht, weil sie aufwendig und ernüchternd wäre. Das ist jedenfalls mein Eindruck. Der Begriff „finanzielle Freiheit“ oder „finanzielle Unabhängigkeit“ ist für mich auch deswegen nutzlos, weil manches, was sich dahinter verbirgt, furchtbar banal ist und manches ganz einfach Unsinn. Wenn mit „finanzieller Freiheit“ das Folgende gemeint ist, dann bin ich persönlich gerne unfrei:

Ich kürze meine Ausgaben für Lebenshaltung gegenüber dem Status-Quo um 60%, indem ich 30 Sachen und Gewohnheiten, die mir früher Spaß gemacht haben und die Geld kosteten, nun beende. Dann kündige ich meinen Job, denn mein Chef und viele meiner Kollegen sind schwer erträgliche Trottel, an die ich meine Arbeitskraft künftig nicht mehr verkaufen möchte. Zudem muss ich mich von nun an nicht mehr jeden Morgen in die unsägliche S-Bahn quetschen. Die neu gewonnene Zeit verbringe ich jetzt selbstgesteuert und frei damit, im Internet bedruckte T-Shirts zu verkaufen, die ich auf meinem iPad in der Hängematte liegend designen kann und die in Slowenien produziert werden. Damit verdiene ich 950 Euro im Monat – in den meisten Monaten. Mein Grenzsteuersatz ist auch erfreulich gesunken. Außerdem investiere ich von jetzt an in Top-Dividenenaktien, die seit 50 Jahren jedes Jahr mindestens 15% Rendite erwirtschaften.

Klar, habe ich das sarkastisch und unfair überzeichnet, doch ein großer Teil der Finanzielle-Unabhängigkeit-Diskussion liegt m. E. nicht weit weg von dieser Persiflage. Für mich jedenfalls hat der „Freiheitsexperte“ Bodo Schäfer diesen Begriff schon im Jahr 2000 mit seinem Buch „Der Weg zur Finanziellen Freiheit – in sieben Jahren die erste Million“ ruiniert.

 

Arbeiten Sie so gerne, dass Sie auf die Rente mit 67 lieber verzichten – und weiter im Beruf bleiben.

 

Sagen wir mal so: Ohne Arbeit würde ich vermutlich bald zu einem seltsamen, sozial unverträglichen Kauz werden, mein Freundeskreis würde sich verkleinern, meine mentale Agilität würde schrumpfen und meine finanzielle Situation sich verschlechtern. Was Arbeit anbelangt ist mein persönliches Ziel aus meinem Job eine gesunde Mischung aus finanzieller und „intrinsischer“ Kompensation (vulgo: Spaß) zu ziehen. In manchen Jahren war und ist die finanzielle Kompensation wichtiger und in anderen die intrinsische. Ich bin jetzt 55. Wenn ich auf die 67 zugehe, möchte ich vermutlich weniger arbeiten als jetzt, aber ganz sicher nicht Null. Am liebsten wurde ich auch mit 80 noch in der Lage sein zu jobben und wenn das dann auch noch bezahlt wird, gerne auch geringer als heute, werde ich dazu nicht Nein sagen.

 

Sie haben sich im Jahr 2017 beruflich verändert, sind aus dem Investmentbanking in die Anlageberatung gegangen. Warum?

 

Nach 26 Jahren Angestelltentätigkeit, davon 24 Jahre bei Banken und großen Finanzdienstleistern wollte ich mal was Anderes machen und am liebsten „mein eigenes Ding“. Das hatte ich schon früher gewollt, aber dann aus verschiedenen Gründen nicht umgesetzt. Einer aber nicht der einzige war, dass ich nun das finanzielle Polster hatte, mir eine Existenzgründung besser leisten zu können als vor zehn oder zwanzig Jahren.

 

Sie beraten jetzt seit über einem Jahr selber Anleger bei ihrer Geldanlage. Wer braucht einen Berater – und wem sollte ein Buch von Gerd Kommer reichen? Immerhin versprechen Sie ja, dass jeder nach dem Lesen Ihres Buches „souverän investieren“ kann.

 

Im Prinzip kann jeder, der bereit ist, die richtigen Bücher und Blogs zu lesen, souverän investieren, also Do-it-Yourself-Investing praktizieren, und wenn sich jemand dabei wenigstens grob aber konsequent an die Prinzipien in meinen Büchern hält, dürfte er mit guter Wahrscheinlichkeit ein höheres Endvermögen erreichen, als wenn er auf die Expertise seines freundlichen Kundenbetreuers bei der Hausbank oder die eines „unabhängigen“ Vermögensverwalters vertraut. Banker und Berater unterliegen zu buchstäblich 99% einem strukturellen Interessenkonflikt, weil sie von Produktprovisionen leben. Dieser Interessenkonflikt zerstört Rendite und erhöht Risiko – systematisch. Berater mit Interessenkonflikt braucht niemand.

Meine Mandanten sind überwiegend Leser meiner Bücher. Manche von ihnen wollen nicht selbst investieren, z. B. weil es ihnen keinen Spaß macht. Dann gibt es welche, die es sich nicht zutrauen, wieder andere brauchen jemanden, der ihnen diese Arbeit abnimmt, weil sie selbst keine Zeit haben und dann gibt es noch welche, die spüren, dass es leichtsinnig wäre, bei sehr großen Vermögen niemanden zu haben, der „mit drauf schaut“. Meistens ist es eine Mischung aus diesen Aspekten.

Wenn ich hier noch etwas schamlos Marketing in eigner Sache machen darf: Ich glaube, ich kann für meine Mandanten einen Mehrwert zu schaffen, den sie im Do-it-Yourself-Modus oder mit einem anderen Vermögensverwalter nicht erzielen würden. Dieser Mehrwert ist eine fallspezifische Kombination aus einer besseren Risiko-Rendite-Kombination, weniger Arbeit für den Mandanten und mehr Seelenfrieden.

Dr. Gerd Kommer lebt und arbeitet in München (gerd-kommer-invest).

 

 

Wenn du keinen Beitrag mehr verpassen willst, dann bestell doch einfach den Newsletter! So wirst du jedes Mal informiert, wenn ein neuer Beitrag erscheint!

 

 

Mehr lesen

 

16 Kommentare

  1. Georg

    Sehr gutes Interview. Ich denke selbst wenn man in 10 oder 15 Jahren den Artikel liest sind Gerd Kommers Aussagen noch aktuell. Leider glauben noch viel zu viele daran durch einzelne Aktieninvestments den Markt zu schlagen. Typisch overconfidence bias.

    Antworten
    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      8 Prozent der Privatanleger schlagen in einem Jahr den Markt. Aber fast 30 Prozent sind zutiefst davon überzeugt, dass sie ihn geschlagen haben. Sie ignorieren einfach die Fakten. Overconfidence ist da nur ein möglicher Wort. Jason Zweig nennt diese Haltung in seinem Buch „Gier“ auch ganz treffend den „inneren Hochstapler“.

      Antworten
  2. Tim

    Seit 20 Jahren keinen Verkauf – selten, dass sich jemand tatsächlich an seine Buy- and Hold-Strategie hält.
    Kenne ich sonst nur so von Warren Buffett, obwohl auch er das nicht mehr ganz so eng zu nehmen scheint. Dementsprechend müsste die Aktien-Auswahl von Herr Kommer allerdings absolut perfekt sein oder werden schwach laufende Anteile bis zum bitteren Ende gehalten?

    Antworten
    1. hien

      Wenn ich das richtig deutet, hat Herr Kommer keine Einzelaktion im Depot.

      Antworten
  3. Daniel

    Ich finde es jedesmal sehr erfrischend wie knackig und scharf Herr Kommer auch insbesondere das aufblühende Dividendenthema, welches sich für mich vor allem bei sehr jungen Anlegern gar nicht erschließen will, beschreibt. Hierzu gibt es ja auch auf seiner Seite eine noch ausführlichere Beschreibung. Insgesamt ein sehr gutes Interview dem absolut beizupflichten ist.

    Antworten
  4. Marc

    Meine Pensionskasse ist in Anleihen(großteils), Immobilien und Aktien investiert. Ich(68 Jahre)beziehe derzeit eine schöne Rente, mit der ich mehr als gut leben kann. Ich habe noch einiges übrig, das ich in etwas investiere, in dem meine Pensionskasse sicher nicht investiert ist: Gold. Wenns weltwirtschaftlich gut läuft, lebe ich sehr gut von meiner Rente, da brauche ich kein Gold, der Preis ist mir egal, er kann auch fallen. Wenns wirklich kritisch wird und meine Pensionskasse mit ihren Aktien,Immobilien und Anleihen in Schwierigkeiten kommt oder wegen Hyperinflation meine Rente nichts mehr wert ist, dann brauche ich das Gold, um weiter gut leben zu können. Also, im Rentenalter benötigt man keine Aktien mehr, nur eine Absicherung für den Supergau. Das nenne ich korrekte Diversifikation im Alter.
    In diesem Sinne braucht der „deutsche Rentner“ keine Aktien, man sollte ihn davor warnen.

    Antworten
    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Ich würde und werde den deutschen Rentner weiterhin davor warnen keine Aktien zu haben. Wer Sicherheit im Alter will, der muss bis 90 planen. Warum sollte er dann mit 70 keine Aktien mehr haben? Das leuchtet mir nicht ein. Und Gold kommt auch weiterhin unter keinen Umständen in das Depot von grossmutters-sparstrumpf. Da halte ich es mit Warren Buffett. Jeder Euro der in Gold steckt, verringert meine Performance – und damit meine Pension.

      Antworten
      1. Marc

        Ich meinte, der Rentner braucht keine Aktien mehr, da er die über seine Pensionskasse schon hat. Zusätzliche Aktien oder andere übliche Assets wären ein Klumpenrisiko. Er sollte in etwas investieren, was seine Pensionskasse nicht hat.

        Antworten
        1. Daniel

          Hat der Rentner denn einen Einfluss darauf welche Aktien Gewichtung die Pensionskasse hat, auch insbesondere in der Krise? Wenn ich da an meine Riester Umschichtungen im Jahr 2008 denke habe ich da arge Zweifel. Ich glaube es ist nicht ratsam einen Rentner mit Anfang 70 großartig zu empfehlen NEU in den Markt einzusteigen. Ich sehe aber keinen Grund warum bereits gehaltene Aktien/Fonds/ETF massiv abgebaut werden sollten wenn man nicht den gefühlt letzten Jahren des Lebens entgegengeht, auf solide Einnahmen (z.B. durch Kupons durch Anleihen) angewiesen ist oder das Thema Vererbung von Aktien mit ins Rennen geworfen wird.

          Antworten
          1. Frank Krause

            Der Frugalist hat auf seiner Seite mehrere Einträge und Literaturverweise, die das Entsparen im Alter gut erklären.

            Zum Thema Gold fällt mir der Blogeintrag von Madame Moneypenny zur Finanzmesse ein „wenn Sie kein Gold haben, worüber bloggen Sie dann?“

          2. Marc

            Vielleicht habe ich mich nicht klar ausgedrückt: Wenn jemand mit 70 sehr gut von seiner Rente leben kann, muß er sich ja nur mehr für den Fall, daß die Rente ausfällt, absichern. Wann könnte eine Rente ausfallen? Hyperinflation, Staatsbankrott, Währungsreform usw.(ich weiß, diese Worte werden hier ungern gehört, aber ganz verdrängen sollte man sie angesichts der Schuldenberge nicht). Für diese Fälle braucht unser Rentner keine Performance, sondern eine Versicherung, beispielweise Edelmetalle, aber keine Aktien oder Anleihen. In Griechenland oder Argentinien bewahrte diese Strategie so manchen Rentner vor dem Schlimmsten.

  5. O.T.

    Hat Kommer nicht mal behauptet das nur ETFs auf Indizes Sinn machen und diese ganzen Beta- Faktor und sonstigen Vehikel zu meiden sind.
    Säuft da jemand selber Wein, der Anderen Wasser predigt?
    Oder ist das die neue Marketingstrategie der ETF-Brache? Vorher alle in Index-ETFs treiben, dann sagen, gibt was besseres: Kauft alle in Smart-Betas und Faktor-ETFs.

    Antworten
    1. Gerd Kommer

      „Hat Kommer nicht mal behauptet dass nur ETFs auf Indizes Sinn machen und diese ganzen Beta- Faktor und sonstigen Vehikel zu meiden sind.“

      (1) Nein, das hat Kommer nie behauptet. (Ich diskutiere am liebsten mit Menschen, die, wenn Sie vage Vermutungen äußern, diese Äußerungen auch als wage Vermutungen kennzeichnen oder einfach für sich behalten.)
      (2) Smart-Beta-ETFs sind — genauso wie marktneutrale ETFs — ETFs auf Indizes, genauer gesagt auf Smart-Beta-Indizes.

      Mit besten Grüßen,
      Gerd Kommer

      Antworten
    2. Venyo

      Ich habe nur eine etwas ältere Ausgabe von Kommers Buch zu Hause und dort wird im Weltportfolio schon auf Small Caps und Value Aktien gesetzt. Vielleicht sind auch noch mehr Faktorprämien dabei, aber ich habe das Buch nicht zur Hand.

      Tatsächlich neu ist vermutlich der Verweis auf Multifactor-Fonds, wobei es dort früher wohl einfahc keine Produkte für gab.

      Antworten
  6. Der Depotstudent

    Ziemlich gutes Interview. Aber ich frage mich ersthaft, wie „In den letzten 12 Monaten ungefähr 11% nach Kosten und vor Steuern“ erreicht werden konnten. Wenn Kommer tatsächlich nach der in seinem Buch beschriebenen Strategie vorgeht, müsste die Rendite doch wesentlich geringer ausgefallen sein, oder was übersehen ich? 🙂 Wäre über Aufklärung sehr dankbar.

    Viele Grüße vom Depotstudent 🙂

    Antworten
    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Super aufgepasst. Danke für den Hinweis. Das Interview würde vor der Korrektur geführt. Die 11 Prozent stimmen natürlich. Ich ändere den Zeitpunkt im Text – dann stimmt alles wieder.

      Antworten

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

neunzehn + zwei =