Was ist eigentlich Home Bias?

 

Immer wieder taucht in der Fachliteratur über Aktien der Begriff Home Bias auf. Damit meinen Experten, dass wir Anleger zu oft die Aktien von einheimischen Unternehmen kaufen, die wir aus dem Alltag, aus der Werbung und aus der Berichterstattung in den Medien gut kennen – oder vielmehr: Wir glauben, dass wir sie kennen.

In Wahrheit sind ja nur ihre Produkte (Autos) oder Dienstleistungen (Banken; Fluggesellschaften, Versicherungen) ein wichtiger Bestandteil unseres Alltags.

Ein Beispiel: In beinahe jeder Aktiengruppe bei Facebook in der ich Mitglied bin, besitzen neue Mitglieder die Aktie von DAIMLER oder planen zumindest, diese baldmöglichst zu erwerben. Warum wollen eigentlich alle DAIMLER kaufen? Ist das Unternehmen etwa so gut? Hat es sehr hohe Gewinne die unaufhörlich steigen? Ist das Management besonders fähig?

 

DAIMLER war auch mal im Sparstrumpf

 

DAIMLER soll heute auch deshalb hier das Thema sein, weil die Aktie von DAIMLER zu den Aktien gehörte, die auch meine Grossmutter schon besaß. Und nach ihr und ihrem Sparstrumpf ist dieser Blog ja immerhin benannt.

Und dann gibt es noch einen weiteren Grund für mein Interesse gerade an DAIMLER. Denn in den letzten Monaten ist mir bei meinen Recherchen zu meinem neuen Buch (ein Reportagen-Buch über Finanzanlagen) aufgefallen: 99 Prozent aller Berichte in Deutschland und auch aller Posts in den Aktiengruppen sind positiv.

Ganz anders sieht es dagegen bei der Aktie von APPLE aus. APPLE kommt in der deutschen Finanzpresse auf den sagenhaften Wert von 99 Prozent an negativen Berichten.

99 Prozent – das erinnert doch stark an die Wahlergebnisse in sozialistischen Ländern zur Zeit des Kalten Krieges.

Schon die beiden Zahlen legen nahe, dass es bei diesen Berichten nicht mit rechten Dingen zugeht. Alles super bei DAIMLER? Keine Probleme? Kann nicht sein. Alles schrecklich bei APPLE? Stehen sie kurz vor dem Konkurs? Auch nicht realistisch.

Die Medien scheinen die Wirklichkeit zumindest zu verzerren. Leiden sie etwa auch unter Home Bias? Oder ist das schon Nationalismus? Gut möglich. Vielleicht spielt hier aber ein Ressentiment mit: APPLE hat die gesamte europäische Handy-Produktion zunächst marginalisiert und dann ruiniert. So etwas vergessen deutsche Journalisten nicht so schnell. Und es färbt ihre Berichte – negativ.

 

Die Folgen von Home Bias

 

Der erste Grund, warum so viele Anleger lieber die Aktie von DAIMLER kaufen als die Aktie von APPLE ist mit dem zuletzt Gesagten schon einmal klar: Sie alle lesen ja auch Zeitung oder schauen sich im Internet auf Portalen um. Und dort stoßen sie – wie ich auch – auf einhelliges Lob für den deutschen Autohersteller. Und auf einhellige Kritik an APPLE.

Das große Lob auf DAIMLER dürfte schon meine Großmutter in den 70er Jahren zu ihrem Kauf der Aktie von DAIMLER (damals noch als DAIMLER BENZ AG) verleitet haben.

 

Daniel Kahneman hat sich viel mit inuitiven Entscheidungen von Menschen im Wirtschaftsprozess beschäftig. Dafür hat er den Nobelpreis erhalten.

Daniel Kahneman hat sich viel mit inuitiven Entscheidungen von Menschen im Wirtschaftsprozess beschäftig. Dafür hat er den Nobelpreis erhalten.

 

Der bekannte Nobelpreisträger (Wirtschaft) Daniel Kahneman hat diesem Phänomen einen einprägsamen Namen gegeben: WYSIATI – What you see is all there is. Wir neigen also dazu, das für real zu halten, was wir lesen, hören und sehen. Wir glauben intuitiv, was die Medien berichten. Berichten sie anhaltend positiv über ein Unternehmen wie DAIMLER, dann bestärkt das Anleger, die Aktie zu kaufen – eine langfristig positive performance der Aktie ist dazu nicht nötig.

Wer bitte schaut sich die schon ernsthaft an!

Nicht Fakten prägen also das Bild der meisten Anleger – sondern die Berichte in der Presse. Die meisten Menschen verlassen sich beim Aktienkauf auf ihre Intuition. Leider – sagt Daniel Kahneman. Er plädiert gegen diese Form des schnellen Denkens. Es führt uns in finanziellen Fragen in die Irre.

 

Die Fakten

 

Ich habe mir mal ein paar Zahlen der beiden Unternehmen angeschaut und für dich zusammengetragen. Ich weiß, dass DAIMLER und APPLE zwei grundverschiedene Unternehmen sind.

Was sie verbindet: Sie sind industrielle Schwergewichte. Sie sind renommierte Marken. Sie sind (für ihre Sparten) beide sehr alt und erfahren. Und zuletzt: Sie treten beide an, um in Zukunft erfolgreich Elektroautos zu bauen.

 

Eine Konzeptstudie des kommenden EQ von DAIMLER

Eine Konzeptstudie des kommenden EQ von DAIMLER

 

APPLE hat hierzu mit großem Forschungsaufwand sein Projekt Titan ins Leben gerufen. Daimler will mit einer Serie von wahrscheinlich sechs elektrisch angetriebenen Automobilen auf den Markt kommen. Sie sollen unter einem eigenen Label (EQ) in den nächsten Jahren nach und nach erscheinen.

APPLE und DAIMLER – so unterschiedlich die beiden Konzerne auch sind – werden also zu direkten Konkurrenten um den Zukunftsmarkt Elektromobilität.

Machen wir also einen Fakten-Check. Schauen wir zunächst einmal, wie stark die Aktien in den letzten 12 Monaten zugelegt oder nachgegeben haben. Hier kommt der Chart von APPLE:

 

chartApple einJahr.aspx

 

Sieht nicht so toll aus für die Firma aus Cupertino. Die Aktie hat nach ihrem Hoch im Mai 2015 Federn gelassen. Aber schauen wir mal, was Daimler in der Zeit so gemacht hat:

 

chartDaimlereinJahr.aspx

 

Sieht deutlich schlechter aus, keine Frage. Damit steht es 1:0 für APPLE. Und die Frage bleibt: Warum glauben so viele Menschen, dass DAIMLER die bessere Wahl ist?

 

Der größere Horizont

 

Der Vergleich über nur ein Jahr ist natürlich viel zu kurz. Wir brauchen einen größeren Zeithorizont. Geben wir den beiden Aktien doch einfach einen etwas längeren Lauf – fünf Jahre. Hier kommen die Zahlen:

APPLE:     + 140 Prozent

DAIMLER: +   90 Prozent

Auch diese Zahlen sprechen für sich. Beides sind ziemlich gute Ergebnisse. Aber die Aktie von APPLE hat wiederum die Nase vorn. Es steht 2:0 für APPLE.

 

Was macht der Gewinn?

 

Vielleicht haben die Autohersteller aus dem Schwäbischen aber auch einfach mehr Erfolg gehabt, ihre Gewinn zu steigern – und die aus Cupertino hängen hinterher?

Der Gewinn je Aktie stieg bei den beiden in den Jahren 2010 bis 2015 wie folgt:

APPLE:     + 322 Prozent

DAIMLER: +   83 Prozent

Ich hätte auch einen längeren Zeitraum nehmen können, sagen wir mal: Die letzten sieben Jahre. Aber in 2009 hat DAIMLER einen Verlust von rund 2,5 Milliarde Euro eingefahren. Und so habe ich den Vergleich lieber doch erst 2010 gestartet. Es steht 3:0 für APPLE.

 

Automobilaktien sind riskant

 

Daimler hat allerdings nicht nur in 2009 Verluste geschrieben, sondern auch im Jahr 2008 einen drastischen Gewinnrückgang hinnehmen müssen, von 4 Milliarden Euro auf nur noch 1,4 Milliarden Euro. APPLE dagegen hat in dieser Zeit keinen Gewinnrückgang gehabt.

Somit steht es schon 4:0 für die APPLE-Aktie.

Die großen Schwankungen beim Gewinn bei Daimler haben nichts mit einem schlechten Management zu tun. Autoaktien sind extrem zyklisch, weil das Geschäft von Autoherstellern extrem zyklisch ist.

Kaum eine Branche navigiert stets so nahe am möglichen Abgrund wie der Automobilbereich. Sinken die Verkäufe in einer Rezession auch nur um 15 Prozent, dann sind viele Autohersteller bereits in den roten Zahlen. Sie machen operative Verluste.

Sinken die Verkaufszahlen in einer Krise noch stärker, um 30 oder gar um 40 Prozent, dann sind manche Autohersteller faktisch insolvent. Sie brauchen frisches Kapital (wie DAIMLER in 2009)  oder müssen gar in ein förmliches Insolvenzverfahren wie der einst weltgrößte Automobilhersteller GENERAL MOTORS ebenfalls im Jahr 2009.

Du siehst – bei Automobilherstellern kann eine Menge passieren. Sie sind riskant. Das liegt auch an dem unglaublich hohen Kapitalbedarf der Branche. Aus diesem Grund gibt es eine wichtige Börsenregel für Langfristanleger. Sie lautet: Kaufe nie eine Aktie mit vier Rädern.

 

Auf lange Sicht

 

Vielleicht aber sind die Zeiträume die ich betrachte immer noch viel zu kurz und die Überlegenheit der Aktie der Untertürkheimer Autoschmiede zeigt sich erst beim Blick auf die vergangen Jahrzehnte. Wie hat sich der Kurs der beiden Unternehmen also in 30 Jahren entwickelt? Das sieht dann so aus:

APPLE: + 21.000 Prozent (von 0,50 Dollarcent auf 105 Dollar)

DAIMLER: + 21,2 Prozent

 

Unglaublich aber wahr: DAIMLER hat es in 30 Jahren nur auf 32 Prozent Plus geschafft

Unglaublich aber wahr: DAIMLER hat es in 30 Jahren nur auf 32 Prozent Plus geschafft

 

Der beste deutsche Wert im DAX (Fresenius) steht in diesem Zeitraum immerhin 5.600 Prozent im Plus. Dagegen sieht DAIMLER in der Tat ziemlich blass aus.

Nichts zu machen – es steht jetzt schon 5:0 für die APPLE-Aktie.

 

Der schlechteste Wert im DAX

 

Über diesen langen Zeitraum betrachtet gehört DAIMLER zu den schlechtesten Werten, die der DAX zu bieten hat. Selbst Unternehmen wie RWE und EON, beides wahrlich keine ausgewiesenen Gewinner-Aktien, stehen besser da als DAIMLER. Und lässt man man die beiden deutschen Banken außen vor – sie kamen in der Wirtschaftskrise mächtig unter die Räder – dann ist DAIMLER auf Sicht von 30 Jahren sogar der schlechteste DAX-Wert überhaupt.

 

Die Windschutzscheibe für die Börse

 

DAIMLER-Fans könnten jetzt auf die glänzenden Aussichten der Firma verweisen und dass die Aktie in den kommenden Jahren garantiert stark zulegen wird. Das sind Hoffnungen. Vermutungen. Mehr nicht. Die Zukunft ist uns an der Börse ja nicht klar und deutlich sichtbar, wie durch eine Windschutzscheibe – wir haben immer nur die Vergangenheit, den Rückspiegel also. Eine Windschutzscheibe für die Börse – die gibt es nicht.

Im Rückspiegel ist deutlich zu sehen: DAIMLER ist ein sehr schlechtes Investment gewesen. Das gilt auch, wenn du DAIMLER mit seinen direkten Konkurrenten VW und BMW vergleichst. Hier kommen die Zahlen für die beiden, wiederum für 30 Jahre:

VW: 711 Prozent

BMW: 914 Prozent

 

Was wird die Zukunft bringen?

 

Die Zukunft der Automobilindustrie ist derzeit unklarer denn je. Wie lange lohnt es sich noch, neue Motoren für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor zu entwickeln? Niemand weiß es.

Wird sich die Elektromobilität weiterhin so schnell entwickeln wie in den letzten fünf Jahren (vor allem in den USA, China, Japan)? Auch das wissen wir nicht. Die schnelle technologische Entwicklung im Bereich der Batterietechnologien spricht allerdings dafür.

Wird die neue Modellreihe EQ von DAIMLER ein Erfolg? Wir wissen es nicht. Fest steht: Der Konzern muss und wird sehr viel Geld hierfür in die Hand nehmen müssen – rund 7 Milliarden.

Der letzte Start von DAIMLER in eine völlig neue Produktkategorie mit dem Kleinwagen Smart hat der Firma enorme Verluste beschert. Etwa 3,5 Milliarden Euro sind hier in zwei Jahrzehnten aufgelaufen. Es waren rund 4.500 Euro für jedes verkaufte Fahrzeug.

Erst in den letzten Jahren konnte DAIMLER den Smart aus der Verlustzone herausholen.

 

Bildquelle: Apple

 

Die Apple Watch

 

Nur zum Vergleich: Der letzte Start eines völlig neuen APPLE-Produkts, der Apple Watch, endete mit Verkaufszahlen von rund 13 Millionen Stück in den ersten zwölf Monaten.

Damit hat der Konzern vom Start weg mit großem Abstand zur Konkurrenz die Marktführerschaft bei den Smartwatches erreicht.

Der Tech-Konzern ist gleichzeitig zum zweitgrößten Uhrenhersteller der Welt aufgestiegen.

APPLE konnte zudem mit der Apple Watch rund 80 Prozent aller Gewinne erzielen, die mit Wearables weltweit gemacht werden.

Trotzdem gilt die Apple Watch in beinahe allen deutschsprachigen Berichten die ich kenne als ein Flop. Seltsam.

 

DAIMLER – ein Fall von Home Bias

 

Ich bin mir sicher: Sollte DAIMLER mit seiner Modellreihe EQ im ersten Jahr nach Erscheinen ein ähnlicher Erfolg gelingen, die deutsche Presse wäre voller Lobeshymnen. Ein Schelm wer Böses dabei denkt – oder an Home Bias.

Mein Rat: Überlege dir gut, ob du dein Geld in Aktien von DAIMLER steckst. Der internationale wie der deutsche Kurszettel kennt bessere Aktien.

 

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3 Kommentare

  1. Karsten

    Beim Tipp von Daimler kann ich mich nur anschließen! Habe meine Aktien schon vor einiger Zeit abgestoßen…

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  2. Stefan Dremer

    Man kann halt Äpfel nicht mit Birnen vergleichen. Aus meiner Sicht bieten beide Aktien gute Chancen. Ich habe in der Vergangenheit dank aktivem Risikomanagement mit Daimler gut verdient. Ein Zykliker geht nun mal rauf und runter, aber genau da liegen auch die Chancen.

    Wenn man über Märkte und Regionen diversifizieren möchte und noch nicht investiert ist, gehören beide auf die Watchlist.

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    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Für Langfristanleger – und dazu zähle ich – sieht die Welt anders aus. Da ist mit DAIMLER nicht viel zu gewinnen. Das liegt auch an dem Sektor – Automobilwerte sind sehr Schwankungsanfällig. Zudem haben die Firmen eine sehr hohe Konkurrenz. Und sehr hohe Kapitalkosten. Mit Aktien wie MASTERCARD, NIKE, DISNEY, FACEBOOK, APPLE und AMAZON sieht das ganz anders aus. Ich hatte alle diese Aktien dauerhaft – und komme so als Anleger auf jährliche Renditen, die mit Aktien wie DAIMLER nicht zu haben sind.

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