Die Psychologie der Börse

Das Buch „One up on Wall Street“ von Peter Lynch ist ein Klassiker unter den Finanzbüchern. Neulich habe ich es gelesen. Was habe ich daraus mitgenommen? Ich will heute nur einen einzigen Punkt hervorheben – die Psychologie der Börse.

Dass Börsenkurse nicht von optimal informierten Marktteilnehmern absolut effizient entstehen (efficient market hypothesis), das dürfe jedem, der die Kurse einzelner Aktien verfolgt, oder den Markt als Ganzes, ziemlich schnell klar werden. Menschen und ihr Verhalten folgen im Kern nicht rationalen Prozessen – sondern werden von ihren Gefühlen bestimmt.

Angst treibt die Anlegerinnen und Anleger immer wieder zu Verkäufen. Dann kommt plötzlich Euphorie auf und die Kurse kennen kein Halten mehr. Kurse werden maßgeblich von den Erwartungen der Marktteilnehmer bestimmt. Und nicht von den Fakten selber.

Langfristig setzen sich die Fakten durch

 

Natürlich wird ein Unternehmen wie APPLE mit stark steigenden Umsätzen und Gewinnen in den letzten zehn Jahren auf lange Sicht im Kurs steigen. Die Fakten werden sich durchsetzen. Zwischenzeitlich aber ist der Kurs der Aktie oft ein Spiel der Emotionen der Marktteilnehmer. Sind sie optimistisch, dass sich APPLEs Umsätze weiterhin erhöhen? Sind sie pessimistisch und gehen davon aus, dass APPLE den Weg von NOKIA gehen wird? Diese Fragen bestimmen den kurz- und mittelfristigen Kurs der Aktie oft viel mehr als die positive Entwicklung der Umsätze und Gewinne.

 

Es lohnt, ein Contrarian zu sein

 

Das sieht auch Peter Lynch so. Vor allem nutzt er diese Sicht, um die großen Börsenzyklen zu erklären. Er wirft in seinem Buch einen für mich ganz spannenden Blick auf den Markt und die Erwartungen der Marktteilnehmer. Dieser Blick umspannt die letzten 90 Jahre. Lynch kommt zu folgender Erkenntnis: Der Markt hat, betrachten wir die Erwartungen der Marktteilnehmer und der professionellen Beobachter, nahezu immer genau das Gegenteil von dem gemacht, was gerade von ihm erwartet wurde.

Das beginnt schon mit dem heftigen Doppelcrash der Aktien in den Jahren 1929-32 und dann noch einmal in 1936/37. Nach diesem Ereignis war der Optimismus für lange Zeit verschwunden – selbst in der eher optimistischen amerikanischen Öffentlichkeit. Das ist nicht wirklich erstaunlich. Nach zwei heftigen Abstürzen, erinnern sich die Anleger natürlich noch lange an diese schreckliche Zeit.

Kommt dir das bekannt vor?

Erstaunlich ist die Zeitdauer, für die Anlegerinnen und Anleger nun den nächsten Crash erwarteten. Nach dem Krieg warteten sie nahezu panisch auf den großen Crash. Aber der kam einfach nicht. Stattdessen folgten die goldenen 50er Jahre. Der Wohlstand stieg – die Kurse auch.

Bis in die Mitte der 60er Jahre, also für nahezu 30 Jahre, konnten sich viele professionelle Beobachter und Investoren nicht wirklich an den stark steigenden Kursen erfreuen. Sie trauten dem Frieden nicht.

Kommt dir das bekannt vor?

Erst Mitte der 60er Jahre verblasste die Erinnerung an die schwierige Zeit von 1929-1937. Anleger wurde zunehmend sorgloser. Die ersten Wirtschaftswissenschaftler vertraten die Meinung, dass moderne Volkswirtschaften ohnehin keine Rezessionen mehr zu fürchten haben. Sie seien jetzt Vergangenheit. Klingt das in deinen Ohren nach einem überbordenden und unrealistischen Optimismus? So ist es.

Kaum hatte der Optimismus sich endgültig durchgesetzt, kollabierte der Markt. Das lag nicht nur an den sorglosen Anlegern – die Ölpreiserhöhung des Jahres 1973 machte dem Optimismus ein abruptes Ende. Was folgte waren zehn harte Jahre für Aktien. Als das Tief dann erreicht war, titelte das amerikanische Magazin Newsweek über den „Tod der Aktie“. Der Pessimismus war jetzt allumfassend.

Doch kaum hatte der Pessimismus gesiegt – machte der Markt einmal mehr das Gegenteil. Er begann seinen epischen Aufstieg.

Was machte der Markt?

 

Er startete zu einer der längsten und ertragreichsten Rallyes, die der Aktienmarkt je erlebt hat. Sie endete erst im Jahr 2000. Auch diese Rallye war wiederum begleitet von bösen Vorahnungen der Anleger. Sie mochten dem steigenden Markt nicht vertrauen. Das änderte sich erst Mitte der 90er Jahre. Erst jetzt wurden die Anleger optimistisch. Und dann auch zunehmend euphorisch. Wir wissen, wie das geendet ist. Im Crash der Jahre 2000-2002. Kaum hatte der Optimismus sich durchgesetzt, da stürzte der Markt ab. Er machte einmal mehr das Gegenteil von dem, was allgemein erwartet wurde.

Und heute?

 

Kommen wir zur Jetzt-Zeit. Wir haben wiederum zwei Crashs hinter uns. Crash-Propheten verkünden beinahe im Wochentakt den nächsten schweren Absturz – der dann wiederum nicht kommt. Die Anleger wie die professionellen Beobachter finden derzeit in jeder Suppe ein Haar und suchen nach Anhaltspunkten für einen erneuten Crash – oder zumindest einen richtig heftigen Bärenmarkt. Der aber will und will nicht kommen. Gut möglich, dass das noch viele Jahre so geht. Sind die Anleger pessimistisch, ist ein Crash sehr unwahrscheinlich.

Die Bewertungen von Aktien sind derzeit historisch eher moderat – und die Zinsen hier wie in den USA lassen Anlegern ohnehin keine Wahl: Wollen sie Rendite, dann müssen sie Aktien kaufen. Werden Anlegerinnen und Anlegern dagegen wieder euphorisch und glauben an endlos weiter steigende Kurse, dann könnte der Markt einmal mehr das Gegenteil tun. Wann das so weit ist? Keine Ahnung. Es kann noch ein oder zwei Jahrzehnte dauern. Es kann auch in einigen Jahren schon so weit sein.

Das Depot von grossmutters-sparstrumpf bleibt weiterhin voll investiert. Die Börsenampel steht weiterhin auf grün. Sobald mir das erste Mal ein Taxifahrer einen Aktientipp gibt oder in der Schlange vor dem Postschalter vor wie hinter mir über Aktien gesprochen wird, schaltet die Ampel auf rot. Dann ist Vorsicht angesagt. Weil alle optimistisch sind.

Einen weiteren Aspekt der Börsenpsychologie will ich in der kommenden Woche anschauen. Angst und Optimismus wechseln an der Börse ja nicht nur in langfristigen Zyklen. Auch im Jahresverlauf gibt es dieses Auf und Ab. Wie du die Angst der Anlegerinnen und Anleger nutzen kannst, um billig einzukaufen, darum geht es in der kommenden Woche.

Stay tuned!

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9 Kommentare

  1. Manfred Foititschek

    …Hallo Christian ,
    beziehe seit deinem Auftritt in HH-Eppendorf Gymnasium , am 21.08. und meinem Engagement ins Wiki „Global Champions“ den „Grossmutters-Sparstrumpf“…..
    Lerne als „Alter Sack“ (Rentner grins) vieles von und über die Börse….
    …meine Rentnerhoppy….
    Danke dafür an dieser Stelle
    Manfred , Norderstedt

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  2. Florian

    Danke für die super Zusammenfassung. Muss die Bücher noch lesen.

    Grundsätzlich teile ich die Gedanken natürlich. Entscheidend ist vor allem der Faktor Zeit. Je länger man im Markt ist, desto egaler können einem kurzfristige Marktpsychologien sein.

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  3. Alex

    Was einen fundamentalen Unterschied darstellt, ist der Informationszugang, der heutzuzage besteht. Mittlerweile verfügt fast jeder über einen Internetzugang und somit über eine Fülle an kostenlosen Informationen. Das war damals mitnichten der Fall. Deshalb lässt sich der Optimismus des vergangenen Jahrhunderts nicht 1 zu 1 zu heute übertragen. Die Leute sind nicht mehr so optimistisch, weil sie besser informiert sind. Außerdem kann ein Crash auch kommen, wenn kein überschwänglicher Optimismus herrscht. Das war 2007/2008 der Fall. Hier stand das Forward PE des S&P 500 bei ca. 14-15. Trotzdem kam es zur schwersten Krise seit 1929.

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    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Keine Frage. Auch der Crash von 1973 hatte am lange Ende einen anderen Auslösen als den Optimismus der Märkte. Der Ölpreisschock war die Ursache. Optimistische Märkte sind für eine längere Seitwärtsphase oder einen Crash allerdings anfälliger. Und sehr optimistische Märkte sind sicherlich noch anfälliger.

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  4. Marc

    „Die ersten Wirtschaftswissenschaftler vertraten die Meinung, dass moderne Volkswirtschaften ohnehin keine Rezessionen mehr zu fürchten haben“

    Genau diese Tendenz sehen wir wieder zunehmend. Modern Monetary Theory.

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  5. Julian

    Wie kommst du auf „modest bewertet“ im Angesicht von hohen CAPE Werten, die laut Studien viel besser als PE / Forward PE die zukünftigen Renditen vorhersagen?

    Antworten
    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Gemessen am aktuellen PE ist der MSCI World derzeit günstig. Gemessen am forward-PE ist er auch günstig. Gemessen am All-Country-Index ohne USA ist das PE derzeit sogar sehr günstig. Einzig US-Aktien sind derzeit leicht über dem Durchschnitt bewertet – was nicht verwundern sollte, weil Aktienmärkte die gut laufen im Prinzip immer leicht überbewertet sind: https://www.yardeni.com/pub/mscipe.pdf
      Du darfst gerne andere PEs wie das Shiller-PE für wichtiger halten. Ich schließe mich dem trotzdem nicht an. Wenn es nach Shiller geht, darf ich seit Jahren schon keine Aktien halten. In meinen Augen ist das Unsinn. Zudem zeigen Studien über Studien: Wer stets und ständig darauf achtet ob der Markt überbewertet ist (und mit seinem Geld an der Seitenlinie steht), der läuft mit seiner Rendite dem Index hinterher.

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      1. Julian

        Hi Christian,

        dazu gibt’s genug Studien: Shiller PE ist natürlich NICHT zum Market Timing geeignet, ist aber die beste Kennzahl bzgl. zukünftig zu erwartender Renditen.

        Grob abgeschätzt: Reale Rendite (nach Inflation) = 1 / Shiller PE. Aktuell wären wir hier bei ca. 5% realer Rendite im MSCI World, sowie ca. 3% realer Rendite im S&P500.

        Spannender Artikel dazu, der die Aussagekräftigkeit des Shiller PE bespricht: https://www.starcapital.de/fileadmin/user_upload/files/publikationen/Presseartikel/2018-06_UEberschaetzte_Kennzahl_Institutional_Money.pdf

        Fazit für mich:
        1) Ja, wir werden auf das heute investierte Geld geringere Erträge (real 3-5%) haben.
        2) Allerdings gibt es keine wirklich rentableren Alternativen aktuell, weshalb das Geld trotzdem gut in Aktien aufgehoben ist.
        3) Von „günstiger Bewertung“ würde ich nur relativ zu anderen Anlagenklassen, aber nicht absolut im historischen Maßstab, sprechen. Historisch waren Aktienrenditen im Ausblick rentabler.

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        1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

          Das Stiller-PE kann zukünftige Renditen des Marktes nicht vorhersagen und konnte das auch noch nie. Dass sich ausgewiesene Wirtschaftswissenschaftler 8und Nobelpreisträger!) dafür hergeben, so etwas zu behaupten, ist ein Trauerspiel, aber leider nicht zu ändern.
          In Wahrheit lassen sich zukünftige Renditen überhaupt und gar nicht vorhersagen. Mit keiner Formel, auch nicht mit der von Shiller. Er hat sich 1996 geirrt. Er hat sich 1997 geirrt. Und 1998 hat seine Formal dann zufällig mal richtig gelegen. Den unglaublichen Lauf von Aktien in den letzten 10 Jahren hat Shillers Formel wiederum nicht erkennen können.
          Bei alledem habe ich noch nicht einmal berücksichtigt, dass jeder Anleger der in den Jahren 1998-2018 im Markt investiert war und jedes Jahr stur weiterhin gespart hat von Shillers Ratschlag (Investieren Sie nicht!) einen erheblichen Vermögensschaden erlitten hätte.
          So wie erfolgreiche Musiker selten einen Abschluss in Musikwissenschaften haben und erfolgreiche Trainer niemals einen Abschluss in Sportwissenschaften (sondern selber Spieler waren), so unsinnig ist es in meinen Augen zu glauben, dass es sinnvoll ist bei der Geldanlage auf Harvard-Professoren zu hören (oder die von Yale).
          Ich höre lieber auf Warren Buffett, Ken Fisher, Charly Munger oder Phil Town.
          Und auf alle die behaupten sie wüssten, was der Markt in den nächsten 10 Jahren macht, höre ich niemals. Niemand weiß es. Auch Shiller nicht.

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