Wie Warren Buffett den Grundstein zu seinem Vermögen legt – und was die KGV-Expansion mit seinem Kauf von COCA-COLA zu tun hat
Es ist heiß in Omaha im Sommer des Jahres 1936 – heiß und stickig. In den Büros sorgen Deckenventilatoren bei Temperaturen von 45 Grad für das trügerische Gefühl von frischer Luft und kühlendem Wind. Auch im Büro „Buffett & Co.“ dreht so ein fünfflügeliger Ventilator unermüdlich seine Runden während Howard Buffett seinen Kunden Aktien von Stromversorgern und Schuldverschreibungen von Städten, sogenannte Community Bonds, verkauft.
Howard Buffett betreibt ein Broker-Büro in Omaha. Seine Kunden kommen aus der oberen Mittelschicht der Stadt. Es sind Ärzte, Anwälte und Unternehmer. Die Wirtschaftskrise, die 1929 begann, hat die Familie deutlich zu spüren gekommen. Aber sie haben sie besser überstanden, als viele andere.
Die Börse hat sich seit ihrem Tief im Jahr 1932 gut erholt. Der Dow Jones hat sich seither verdreifacht. Die Geschäfte von Howard Buffett laufen gut. So kann die Familie über einen Sommerurlaub nachdenken. Ein kühler See in Iowa ist ihr Ziel.
Der Geldwechsler
Die Buffetts haben die Koffer bereits ins Auto gepackt. „Der Geldwechsler muss mit“, betont Sohn Warren – und er bekommt seinen Willen. Nur ungern lässt der Junge das Utensil, in das alle gängigen Geldstücke hineinpassen, aus den Augen. Der Geldwechsler, wie ihn Schaffner oft tragen, enthält alle seine Schätze, zahlreiche pennies, nickels, dimes, quarters und auch einige half-dollars.
Während die Familie ihrem Sommerurlaub entgegenfährt, während Vater Howard ans Angeln denkt, während Mutter Leila sich fragt, wie sie die Wäsche der Familie im Urlaub sauber bekommen wird und während Warrens Schwestern sich auf das Baden im Lake Okoboji freuen, sitzt Warren auf dem Rücksitz der schwarzen Buick-Limousine, hält seinen messingbeschlagengen Geldwechsler fest mit beiden Händen umklammert – und schmiedet einen Plan.
Eines der berühmtesten Buffett-Fotos: Warren mit seinem Geldwechlser in der Hand, neben ihm seine beiden Schwestern.
Die Badenden von Lake Okoboji
Es ist heiß im Sommer des Jahres 1936 – auch in Iowa. Doch hier gehen die Temperaturen selten über 30 Grad. Vom See her weht oft ein kühlender Wind. Und die zahlreichen Bäume am Ufer spenden Schatten. Ideal für einen Sommerurlaub.
Was aber macht Warren? Er kauft Sixpacks mit Coca-Cola-Flaschen für 25 Cent. Anschließend verkaufte er sie einzeln für 5 Cent an die Badenden am Lake Okoboji. Fünf Cent Gewinn kann er auf diese Weise mit einem Sixpack machen und in seinem Geldwechsler verstauen.
Durst ist ein machtvolles Gefühl und ein Sechsjähriger mit gekühlten Coca-Cola-Flaschen kommt vielen Badenden gerade recht, um einen nickel locker zu machen. Sie kaufen. Und Warren verdient. Was für ein lohnender Urlaub!
Der Beginn eines unfassbaren Vermögens
5 Cent Gewinn mit einem Sixpack – das klingt für uns heute nach einem geringen Lohn für all die Mühe die der Junge sich macht. Doch so war es nicht. Der Inflationsrechner im Internet zeigt ein ganz anderes Bild. Nach heutigem Geld waren das immerhin 86 Cent die Warren Buffett mit einem Sixpack verdienen konnte – fast ein Dollar also.
Das ist viel Geld für einen Sechsjährigen, der sich möglicherweise Wünsche wie Kaugummis, Schokolade oder auch eine Flasche coke erfüllen will. Doch darum geht es dem jungen Warren nicht. Er will die eingenommenen pennies, nickels und dimes nicht etwa ausgeben – weit gefehlt. Er will sie sparen. Um eines Tages reich zu sein. Sie sind in seinen Augen der Grundstock eines Vermögens, eines unfassbar großen Vermögens. Mehr als 78,9 Milliarden sind es derzeit.
Zurück in Omaha zieht der kleine Warren von Haustür zu Haustür, um Coca-Cola-Flaschen einzeln zu verkaufen – während in den Straßen die Kinder spielen. Buffet spart seine pennies, nickels, und dimes eisern. Und er zählt sein Geld liebend gerne.
Wie werde ich bloß reich?
Warren Buffett opfert seine Zeit, die Zeit eines Sechsjährigen für den Start in den Aufbau eines gigantischen Vermögens. Er will einmal reich sein. Richtig reich. Für dieses Ziel verkauft er schon mit sechs Jahren Coca-Cola-Flaschen.
COCA-COLA liefert einen Teil der finanziellen Basis für den Start von Warren Buffetts späterer Karriere als Investor und wichtigstem Anteilseigner von BERKSHIRE HATHAWAY, der kleinen Textilfabrik die er im Laufe der Zeit zu einer Beteiligungsgesellschaft umbaut. BERKSHIRE HATHAWAY ist heute eines der größten und mächtigsten Unternehmen der Welt. Das ist es auch Dank der pennies, der nickels und der dimes vom Lake Okoboji.
Erst viele Jahre später kann Warren Buffett sich dazu entschließen, die Aktie von COCA-COLA zu kaufen. Das Unternehmen hat nach zahlreichen Misserfolgen eine starke KGV-Kompression hinter sich. Es liegt, wie er sagt, im Koma.
COCA-COLA liegt im Koma – und Buffett freut sich
Warren Buffett hat COCA-COLA bewusst erst dann gekauft, als die Firma gerade große Probleme hatte. Sie lag regelrecht „im Koma“ wie er sagt. Das Unternehmen hat ein im Jahr 1985 ein schreckliches Werbedesaster erlitten, mit der Einführung von New Coke. Die Kunden rebellieren gegen die Entscheidung des Konzerns, die ursprüngliche Formel für das Getränk zu ändern. Sie fordern vehement die alte Coca Cola zurück.
Die Firmenleitung reagiert verunsichert. Was haben die Menschen denn nur? In Blindversuchen hat die New Coke vielen Menschen besser geschmeckt. Und nun das – Proteste rund um den Globus. Die Aktie gerät währenddessen ins Taumeln – das Unternehmen fällt ins Koma.
Im Koma hat Warren Buffett COCA-COLA noch nie gesehen, seit den Tagen des Lake Okoboji nicht. Immer war diese Ikone der amerikanischen Wirtschaft für seinen Geschmack viel zu teuer, mit einem KGV von 20 und mehr. Jetzt aber steht sie bei 13. Was für eine Chance! Wie lange wird er der Versuchung wohl widerstehen können? Doch Buffett macht keine Impulskäufe, mag die Gelegenheit auch noch so günstig erscheinen. Keep your Emotions in Check. Und genau das macht Buffett. Er denkt nach.
Ein Werbedesaster, ein Konzern der zurückrudern muss mit einer Entscheidung und der Coke Classic unter dem Jubel der Fans wieder in den Handel bringen muss – das alles reicht Warren Buffett nicht für eine Investition in die damalige Nummer Eins unter den bekannten Marken in der Welt. Was ihn beschäftigt, das ist die zentrale Frage: Kann COCA-COLA seinen Gewinn nachhaltig steigern?
Was die Frontscheibe über COCA COLA verrät
Warren Buffett hat es sich mit der Antwort auf diese Frage nicht leicht gemacht. COCA-COLA war seit den Tagen seiner Kindheit ein gutes Business gewesen, eine wonderful company. Doch wie geht es mit der Firma in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiter?
Wenn COCA-COLA viele Jahre schon seinen Gewinn und seinen Umsatz steigern konnte – was spricht dafür (oder dagegen), dass das Unternehmen das auch in Zukunft schafft? Vor dieser Frage steht Warren Buffett im Jahr 1988, in dem Jahr also, in dem er still und leise eine große Zahl von Aktien von COCA-COLA erwirbt. Diese Heimlichkeit ist wichtig für ihn, da seine Käufe immer eine hohe Zahl an Nachahmern auf den Plan rufen und den Kurs einer Aktie in die Höhe treiben. Als sein Investment in COCA-COLA bekannt wird, muss der Handel mit der Aktie an der New Yorker Börse zeitweilig ausgesetzt werden – so stark sind die Reaktionen.
Noch einmal die Ausgangsfrage: Kann COCA-COLA seinen Umsatz und seinen Gewinn nachhaltig steigern? Da der Umsatz des Unternehmens in den USA schon sehr hoch ist, der Heimatmarkt ein starkes Wachstum also kaum mehr zulässt, läuft diese Frage für Warren Buffett im Jahr 1988 auf eine ganz andere Frage hinaus: Werden die reicher werdenden Ökonomien Asiens und Länder wie Brasilien dem Markenimage von COCA-COLA erliegen – und so den Umsatz weiter kontinuierlich in die Höhe treiben?
Buffett hat seinerzeit also versucht, eine Antwort zu finden auf eine Frage über die Zukunft des Business von COCA COLA. Ihn interessiert wie bei jedem seiner vorherigen Investments, der-Blick in den Rückspiegel. Dort sieht er: COCA-COLA ist die stärkste und bekannteste Marke der Welt. Die Firma hat eine lange Historie von steigenden Gewinnen und steigenden Dividenden. Und sie hat ein Management, dass seit einiger Zeit auf eine verstärkte internationale Expansion setzt. Vor allem in Asien.
Was wird die Zukunft uns bringen?
Der Blick in den Rückspiegel ist für Warren Buffett also ausgesprochen überzeugend. Ganz entscheidend ist für ihn aber, was der Blick zurück für die Zukunft bedeutet. Er will wissen, was die Frontscheibe über COCA-COLA verrät. Seine Antwort – nach einigem Nachdenken – lautet: Ja. COCA-COLA’s Wachstumskurs ist intakt.
Wachsendes Geschäft – wachsender Umsatz – wachsende Gewinne – wachsende Dividende. Das war im Kern Buffetts Kalkül. Es ist aufgegangen. Die Aktie verdreifacht ihren Wert in den kommenden Jahren. Die Dividende explodiert. Buffetts Ernte ist groß. Ihm kommt dabei auch der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Auflösung des Warschauer Paktes zur Hilfe. Weitere Märkte für COCA-COLA und sein starkes Markenimage.
Warren Buffett kauft COCA-COLA bei einem KGV von 13. Sein Lehrer, Benjamin Graham, hätte so eine Investition nicht einmal in Erwägung gezogen. Zu teuer. Punkt.
Bei aller Verehrung von Warren Buffett gegenüber seinem einstigen Lehrer, Mentor und späteren Freund, Warren Buffett ist Warren Buffett. Er hat seine eigene Anlagephilosophie. Die Zeiten haben sich gründlich geändert. Buffett hat die Macht der Marken genau studiert. Das ist ein Grund, warum er COCA-COLA kauft. Es ist – seinerzeit – die mächtigste und wertvollste Marke der Welt.
Was bringt COCA-COLA (blau) deinem Depot? Deutlich weniger als ein Investment in den S&P 500 (schwarz).
Was wir daraus lernen können
Kein Investor den ich kenne, hat mit der Aktie von COCA-COLA in den letzten 20 Jahren den Index schlagen können. Auch Warren Buffett ist das nach 1998 nicht mehr gelungen. Aber er hat COCA-COLA viel früher und zu einem extrem günstigen Preis erworben. Sein Gewinn liegt im Einkauf. Vergiss also COCA-COLA. Jeder S&P 500-ETF ist besser für dich und dein Geld.
Aktien von Unternehmen „im Koma“ kaufen. Buffett hat wiederholt Unternehmen genau dann gekauft, wenn sie große Probleme hatten. Auch bei AMERICAN EXPRESS hat er das so gemacht. Buffett hat aber auch damals nicht nur auf ein niedriges KGV gesetzt. Das alleine garantiert in seinen Augen keinen guten Kauf.
Cash ist Trumpf. Hinzukommen muss für ihn die Qualität des Unternehmens. Das Business muss in der Lage sein, große Mengen an Cash zu generieren, die es an seien Anleger ausschüttet.
Das premium ist ein Muss. Drittens sollte ein Unternehmen in der Lage sein, für seine Produkte ein Premium zu verlangen. COCA-COLA kann das. APPLE auch.
Wachstum ist Pflicht. Viertens achtet Buffett sehr genau auf die Wachstumsaussichten von Unternehmen. Das gute Wachstum von COCA-COLA in den 90er Jahren ist ein zentraler Baustein in der Erfolgsgeschichte von Warren Buffetts Einstieg in das Unternehmen. Zukünftiges Wachstum macht ein Unternehmen wertvoller. Wachstum hat einen Wert. Der liegt für ihn im zukünftigen Cashflow.
Am deutlichsten wird diese Sicht an einem der hier bei uns am wenigsten bekannten Käufe von Buffett – See’s Candies. Das Schokoladen- und Konfekt-Unternehmen kauft Buffett in den 70ern. Das auf Luxuswünsche der Mittelschicht orientierte Unternehmen wächst enorm – zusammen mit dem wachsenden Reichtum der Gesellschaft. Die Mittelschicht will sich etwa leisten.
Buffett kauft See’s Candies für einen hohen Preis. Sein Companion Charly Munger rät zu. Gute Unternehmen gibt es nicht billig. Heute erhält Buffett jedes Jahr mehr Gewinn von See’s Candies, als er in den 70er Jahren für den Kauf der Firma bezahlt hat. Das ehemals kalifornische Unternehmen ist enorm gewachsen, mit Filialen in New York, Hongkong und Singapur. Umsatz und Gewinn sind gestiegen. Und Buffett liebt Gewinne.
Das ist auch der Grund, warum Buffett Gold als Anlage meidet. Gold wächst nicht – wie etwa See’s Candies. Gold macht auch keine Gewinne – es ist tote Materie, die niemals einen neuen Wert schaffen wird.
Warum auch du vom Gold die Finger lassen solltest wenn dir deine Rendite lieb ist, darum geht es am kommenden Wochenende. Hier – auf grossmutters-sparstrumpf.
Fotos: Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Coca-Cola Company.
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Die Biographie von Warren Buffett (The Snowball) ist ausgesprochen lesenswert. Die englische Fassung ist in meinen Augen allerdings deutlich besser als die deutsche. Im englischen gibt es eine Taschenbuchausgabe. Sie ist gekürzt. Ich empfehle die gebundene Ausgabe.