Lässt die Inflation nach, dann steigen die Börsen

Alle warten derzeit bei der Inflation auf schlechte Nachrichten. Und was, wenn gute kommen? Dann dürfte das die Kurse beflügeln. Ich halte diese Entwicklung immer noch für die wahrscheinlichste (es sei denn jemand macht etwas ganz Dummes).

Im Chart gut zu sehen ist der aktuelle Preisverfall (bzw. das Nachlassen des Preisdrucks) beim Kupfer:

 

 

Das Minus vom Hoch beläuft sich derzeit auf 23 Prozent (Stand: 1. Juli 2022). Es befindet sich also in einem „Bärenmarkt“. Der größte Teil der Abschläge ist erst in den letzten drei Wochen entstanden.

Dabei ist der Rückgang der Preise beim Kupfer nicht die einzige gute Nachricht der letzten Wochen. Denn auch der Weizenpreis geht zurück. Hier kommt ein Blick auf den Chart:

 

 

Es ist deutlich zu sehen: Der Weizenpreis sinkt. Das ist ein Glück. Der Abschlag vom Hoch beträgt jetzt rund 23 Prozent. Und natürlich ist Weizen derzeit immer noch sehr viel teurer als vor einem Jahr. Aber die Bedeutung sinkender Preise beim Weizen für die ärmeren Teile der Welt ist sehr, sehr groß.

In Deutschland wird niemand verhungern, wenn Weizen so teuer bleibt (oder noch teurer wird). In vielen Ländern aber hängt das Überleben vieler Menschen vom Weizenpreis ab. Und noch viel mehr hängt die politische Stabilität von Ländern wie etwa Ägypten oder Mexiko vom Weizenpreis ab. Die Hungerrevolten von 2007 und 2008 haben seinerzeit Regierungen zu Fall gebracht.

Natürlich hat der Weizen nur einen geringen Einfluss auf die Inflation. Für die Stabilität der Welt insgesamt aber ist der Weizenpreis wichtig. Ein Grund für den Rückgang des Preises: Bei der Addition der in diesem Jahr (voraussichtlich) zur Verfügung stehenden Mengen an Getreide hat sich herausgestellt, dass es wohl mehr Getreide geben wird, als zuvor angenommen.

Zudem ist es nicht unwahrscheinlich, dass es auch Exporte aus der Ukraine geben wird. Die Türkei hat sich hierfür stark gemacht und verhandelt mit Russland und mit der Ukraine über diese Frage. Die Folge: Die Preise gingen deutlich zurück.

Natürlich haben weder Kupfer noch Weizen einen großen Anteil an der Inflation bei uns oder in den USA (in armen Ländern wie dem Libanon dürfte das ganz anders sein). Viel wichtiger ist hingegen der Ölpreis. Hier kommt ein Blick auf den Chart:

 

 

Auch der Ölpreis ist in den letzten drei Wochen deutlich gefallen. Ist doch seltsam: Alle drei Preise fallen seit drei Wochen. Es ging in den letzten drei Wochen beim Öl um 9 Prozent nach unten. Damit ist er aber immer noch um knapp 50% höher als vor einem Jahr.

Um den Einfluss des Ölpreises auf die Inflation bald zu brechen muss er noch ein ganzes Stück weiter sinken. Steht er im September bei 90$ dann ist gut zu sehen, was passieren wird: Der year-over-year Vergleich wird dann schon im Oktober bei nur noch wenigen Prozenten Plus liegen.

Wie geht es weiter mit der Inflation?

 

Niemand weiß, wie es bei der Inflation weitergehen wird. Auch ich nicht. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass bislang noch jede Preiswelle beim Öl seit 1980 innerhalb relativ kurzer Zeit gebrochen wurde. Der Ölpreis ging wieder zurück. Und mit ihm die Inflation.

Es gibt zu dieser Regel nur eine Ausnahme – die 70er Jahre. Schauen wir mal auf einen Chart, der die Inflation der letzten 60 Jahre in den USA zeigt:

 

 

Eine hohe Inflation (blaue Linie) war in dieser Zeit nahezu immer ein Ergebnis eines steigenden Ölpreises (und nicht die Folge einer lockeren Geldpolitik der Zentralbanken, wie Konservative und Populisten es gerne behaupten). Dieser Effekt war in der Regel eher kurzlebig.

Selbst 1973/74, bei dem extremen Anstieg der Ölpreise, war das in der Folge so. Allerdings war es mit dem ersten Ölpreisschock nicht getan. Ihm folgte der zweite und der dritte. Das hat die Lage seinerzeit so kompliziert gemacht.

An dieser Stelle kommend die Medien ins Spiel, die es lieben, uns zu ängstigen und uns vor dem schlimmsten Fall zu warnen. Dramatische Schlagzeilen bringen ihnen die Aufmerksamkeit von Leserinnen und Leser – also wird dramatisiert, was das Zeug hält. Also stellen sie die Frage: Und was wenn die Inflation anhält und noch stärker steigt?

Dazu braucht es auch heute wieder mehrere Schocks. Und die müssten heftig sein. Alles in allem hat sich der Ölpreis von 1970 bis 1980 um das 30-fache erhöht. So eine Entwicklung ist derzeit extrem unwahrscheinlich.

 

Die Lohn-Preis-Spirale

 

Wo aber bleibt all das Geld, das wir derzeit mehr ausgeben? Für die vergangenen zwei Jahre ist klar: Es wird zu Unternehmensgewinnen (corporate profits). Es geht für Mehraufwendungen für Vorprodukte und Energie drauf (nonlabo input costs). Und in sehr geringem Umfang fließt es in die Taschen der Beschäftigten (unit labor costs). Von einer Lohn-Preis-Spirale (von der die Medien derzeit so berichten, als sei sie bereits in vollem Gang und unser Schicksal somit unabwendbar) ist da nichts zu sehen.

Am einfachsten lässt sich diese Aufteilung der Inflationsgewinne sicherlich mit den hohen Preisen an den Tankstellen erklären. Die Löhne der Beschäftigen dort sind nicht gestiegen. Die Löhne im Bereich der Ölindustrie auch (noch) nicht. Die Gewinne hingegen schon. Und das Vorprodukt (Erdöl) auch.

Natürlich heißt das nicht, dass sich das nicht ändern kann. Bislang aber spielen gestiegene Löhne im Rahmen der Inflation keine nennenswerte Rolle. Bislang existiert die Lohn-Preis-Spirale nur in den Kommentarspalten der Medien.

 

Mein Fazit

 

Für eine sinkende Inflation braucht es keine Zinsanhebungen der Fed (auch wenn viele Marktteilnehmer das denken). Es braucht einen sinkenden Ölpreis. Und es braucht ein Ende der gestörten Lieferketten, die für einen erheblichen Teil der Inflation verantwortlich sind (zum Beispiel im Bereich der Automobilindustrie).

Die derzeitigen Lieferengpässe bei Bauteilen sind der zweite Treiber der Inflation. Güter, zum Beispiel Autos, sind knapp. Also steigt ihr Preis. Auch die Probleme mit den Lieferketen lassen sich durch Zinsanhebungen nicht lösen (auch wenn viele Marktteilnehmer das denken).

Was es vielmehr braucht, das ist ein Ende der Lockdowns in China. Sie schaden der chinesischen Wirtschaft wie der Weltwirtschaft gleichermaßen. Kommt es zu diesem Szenario, dann wird die Börse feiern. Was das genau bedeutet, das schauen wir uns in 14 Tagen im Detail an. Dann heißt das Thema hier auf grossmutters-sparstrumpf: The big long.

 

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11 Kommentare

  1. Marco

    Danke für deine Antwort!
    Wahrscheinlich bin ich immer noch zu „Ökonomen-gläubig“.

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  2. Werner

    Und wenn es Putin gelingt, noch ein LNG-Terminal in den USA zur Explosion zu bringen (was er vermutlich getan hat, der Nachweis steht aus), dann sinken die Gaspreise in den USA noch stärker als in den letzten Wochen. ???????????????? Ist das so ??

    Antworten
    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Gut möglich. Ich traue dem Putin alles zu.

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    2. Wolfram Schaefer
      1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

        Der Text den du gepostet hast bezieht sich immer noch auf den ersten Vorfall. Es gibt (meines Wissens) keinen zweiten.

        Antworten
  3. Marco

    Hans Werner Sinn sieht der Inflation leider nicht optimistisch entgegen:

    https://finanzmarktwelt.de/inflation-und-ezb-hans-werner-sinn-ueber-ursachen-und-folgen-239048/

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    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Hans Werner Unsinn sieht der Zukunft Deutschlands schon immer pessimistisch entgegen. Keine seiner pessimistischen Vorhersagen ist eingetreten. ich weiß noch, wie er Anfang der 2000er Jahre von der Basarökonomie faselte und dass Deutschland nahezu am Ende wäre. Nichts davon ist passiert und in der Krise von 2008/09 war Deutschland der Primus in Europa (was er nun wiederum auch nicht erklären konnte – andere Ökonomen aber schon).
      Ich achte schon lange nicht mehr auf das, was er sagt – und kann auch niemandem raten, das zu tun.
      Meine Meinung.

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  4. Stefan

    Hallo Christian, vielen Dank für diesen schönen Beitrag. Ich finde diesen Ausblick doch angenehm optimistisch. Ein gutes Gegengewicht zu dem, was in den Nachrichten passiert. Als ETF-Sparer finde ich es ja auch mal ganz schön, wenn die »Socken« gerade billig sind, aber steigende Kurse mag ich auch. Liebe Grüße und weiter so! Stefan

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    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Danke Stefan, warte erst mal auf den Folgebeitrag! Da werde ich noch optimistischer – und vermutlich kaufe ich bis dahin noch einmal mit dem Rest des Cash ein. Ich schreibe hier ja nicht, um andere zum Kaufen anzustiften, sondern um zu zeigen, was ich mache. Und warum.
      Schöne Grüße aus Berlin
      Christian

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  5. Frank

    Der wahre Treiber der Inflation ist eine Bewertung von Corona. In China wird dies sehr ernst genommen und im Westen für beendet erklärt. Eine große Nachfrage im Westen trifft auf ein sehr geringes Angebot aus China an wichtigen Teilen.
    Der Anteil der Ukraine an der Weltgetreideproduktion beträgt 2,1 % (Wikipedia). Das Wetter bei den Hauptproduzenten hat mehr Einfluss auf den Getreidepreis als der Krieg. Auf den Gaspreis in Deutschland hat Einfluss ob Siemens die Turbinen für Nordstream I aus Canada zurückbekommt oder falls nicht Ersatzweise Nordstream II in Betrieb genommen wird (Siemens Pressesprecher, Berliner Zeitung, Spiegel, Comdirect).

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    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Wichtiger als der Anteil der Ukraine an der Weltgetreideproduktion ist, wieviel davon auf dem Weltmarkt gehandelt wird. Es geht also um den Anteil an den Getreideexporten. Da ist der Anteil der Ukraine bei etwa 9% – und das ist natürlich alles andere als unerheblich: https://www.wochenblatt-dlv.de/maerkte/groessten-weizenexporteure-welt-568882
      Auf den Gaspreis hat Einfluss, was Putin will, aber der Einfluss des Gaspreises in Deutschland auf die Inflation in den USA ist Null. Und die Inflation in Deutschland interessiert den Aktienmarkt – ebenfalls Null. Und wenn es Putin gelingt, noch ein LNG-Terminal in den USA zur Explosion zu bringen (was er vermutlich getan hat, der Nachweis steht aus), dann sinken die Gaspreise in den USA noch stärker als in den letzten Wochen.

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