Macht einkaufen glücklich?

Amerikanischen Einzelhandelsketten wie MACY’S, SEARS oder J.C.PENNYS befinden sich in einem regelrechten Strudel, der sie in den Abgrund reißen könnte. Dieser retail meltdown, seine Opfer sowie seine Nutznießer, haben mich hier auf grossmutters-sparstrumpf in den vergangenen Wochen beschäftigt. Du findest die Analysen hier und hier.

Einer der Gründe für die Probleme des Einzelhandels in den USA ist die abnehmende Bereitschaft der Amerikaner, ihr Geld für den Konsum auszugeben – für Dinge die sich kaufen lassen. Sie tragen ihr Geld stattdessen lieber woanders hin – in Restaurants und Bars zum Beispiel. Oder sie fliegen für ein paar Tage in den Urlaub. Oder zu Freunden.

Die Tendenz zu mehr Besuchen in Restaurants und Bars kannst du in folgender Grafik gut erkennen:

 

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Bis 2008 steigen die Ausgaben der Amerikaner für Retail und für Food Services and Drinking Places gleichermaßen an. Doch dann, im Verlauf der Wirtschaftskrise ändert sich etwas. Die Ausgaben für Food Services and Drinking Places steigen von nun an doppelt so stark.

Warum?

Auf diese Frage gibt es eine Reihe verschiedener Antworten. Zum Beispiel die, dass sich ein schönes Essen mit Freunden besser auf Facebook oder Instagram posten lässt. Möglicherweise verändert also das Smartphone unsere Gewohnheiten. Es tritt ja so ziemlich inmitten der Krise auf den Plan.

 

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Nicht nur Jochen bleibt neuerdings immer öfter zu Hause. Seine Frau ist erleichtert.

 

Ist weniger Konsum schlecht?

 

All diese Erklärungen gehen oft unterschwellig davon aus, dass es sehr bedauerlich ist, dass die Amerikaner weniger konsumieren. Aber – ist es das wirklich?

Für MACY’S und J.C.PENNY und SEARS und auch für den Marktführer WALMART ist der meltdown eine schwierige Situation. Sie müssen Geschäfte schließen und Personal entlassen. Die übrigen Beschäftigten müssen zudem weiter um ihre Jobs bangen. Die starke Konkurrenz durch den Onlinehandel (AMAZON) bleibt den großen Retailern schließlich erhalten. Und der ‚Kaufstreik’ der Konsumenten kann sich ja in den kommenden Jahren auch fortsetzen.

Aber – schadet weniger Konsum den Amerikanern? Oder kann es nicht sogar sein, dass sie etwas sehr Vernünftiges tun, wenn sie ihr Geld lieber in Restaurants ausgeben – oder für einen Kurzurlaub?

Wir können diese Frage auch so ausdrücken: Was macht Menschen glücklicher? Macht es sie glücklicher, wenn sie sich neue Dinge kaufen? Oder sind schöne Erlebnisse mit Freunden oder der Familie für das Lebensglück besser?

 

Geld und Glück

 

Dies ist ein Finanzblog. Aber wie viele von euch wissen, bin ich von Haus aus psychologischer Berater (Single und Paarberater) und zudem schon seit 30 Jahren Autor. Als Autor habe ich viele Jahre lang für Wissenschaftsredaktionen gearbeitet – zumeist zu psychologischen Themen (WRD, DeutschlandRadio Kultur, Die Welt). Deshalb bin ich schon seit Jahrzehnten mit der psychologischen Forschung vertraut.

Meine Lieblingsfrage lautet daher oft: Was sagt die Forschung?

Die Ergebnisse der Wissenschaft zum Thema „Geld und Glück“ widersprechen oft unserem Alltagsverständnis. Besonders offensichtlich ist das bei unserem Einkommen und dem Einfluss, den es auf unser Lebensglück hat.

 

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Irrtum Nummer eins: Ein höheres Einkommen macht glücklich

 

Viele Menschen glauben, ein höheres Einkommen mache sie glücklicher. Kaum ein Irrtum über das Geld und den Einfluss von mehr Geld auf unser Wohlbefinden ist so verbreitet wie dieser. Dabei lässt er sich durch die Forschung nicht bestätigen. Oft passiert sogar das Gegenteil. Die Menschen werden unglücklicher. Sie haben jetzt zwar mehr Geld – aber dafür haben sie eine Arbeit angenommen, die sie weniger zufrieden stellt. Oder Sie müssen eine Pendelbeziehung führen und sehen den Partner oder die Partnerin nur noch am Wochenende. Und deshalb sind sie nun weniger glücklich.

Beide Effekte haben allerdings einen unterschiedlichen Zeithorizont. Die Freude über den höheren Verdienst setzt unmittelbar mit dem neuen Job ein – und hält dann einige Monate an. Die Folgen der geringeren Zufriedenheit aber nehmen wir in der Regel erst danach wahr, möglicherweise sogar erst nach Jahren.

 

Die Zufriedenheit ist der höhere Wert – und der beständigere

 

An den höheren Verdienst gewöhnen Menschen sich schnell – deshalb macht er sie nicht dauerhaft glücklich. Die Arbeit und die geringere Zufriedenheit mit der Arbeit aber bleibt.

 

Punkt eins bei den Irrtümer über Geld und Glück müsste also lauten: Wir überschätzen die positiven Effekte eines höheren Verdienstes. Und wir unterschätzen die emotionalen Kosten: weniger Zufriedenheit mit der Arbeit; längere Arbeitswege; Pendelbeziehung.

 

Ein höheres Einkommen kann ich dir als Berater also durchaus empfehlen – aber eben nur wenn dir die neue Arbeit oder die neue Position in deinem Unternehmen mehr Spaß macht als die vorherige. Macht sie hingegen weniger Freude, dann solltest du dir deine Entscheidung gut überlegen. Im Zweifelsfall ist es besser, wenn du auf Geld verzichtest und die Zufriedenheit mit der Arbeit auf die erste Stelle setzt.

 

Im Alter länger arbeiten – weil es zufriedener macht

Die Zufriedenheit mit der Arbeit ist sogar ein so wichtiger Einflussfaktor  für die Zufriedenheit mit unserem Leben, dass die Forschung zu dem klaren Ergebnis kommt, dass es für dich und dein Lebensglück möglicherweise hilfreich ist, wenn du nicht schon mit 63 oder 67 verrentet wirst– sondern so spät wie nur möglich. Oder dass du dir nach der Verrentung eine andere (bezahlte oder unbezahlte) Arbeit suchst die du richtig gerne machst. Wer länger arbeitet ist gesünder, geistig fitter und psychisch stabiler. Und er lebt zudem auch noch länger. Du kannst das in meinem Text nachlesen:  „Warum ich so gerne arbeite – und du darüber nachdenken solltest, ob du das auch machen willst.“

 

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Der Schrei.

 

Irrtum Nummer zwei: Konsum macht glücklich

 

Macht Konsum uns glücklich? Folgen wir der Werbung, dann ist das gar keine Frage. Sie bombardiert uns regelrecht mit Glücksversprechen. Neue Schuhe (das zehnte Paar), eine neue Jacke (wir haben schon vier), eine sündhaft teure Haarspülung (das Haar liegt wo wie immer)  und ein neues Auto (das alte tut es noch lange) – geht es nach der Werbung, dann macht das alles uns angeblich sehr glücklich.

Auf die Spitze getrieben wurde dieses Glücksversprechen vom deutschen Online-Händler ZALANDO, der eine ganze Werbekampagne auf dem Versprechen von Glück aufbaute.

Konzerne wie ZALANDO wollen verkaufen. Für die Richtigkeit ihrer Werbeaussagen übernehmen sie keine Garantie. Trotzdem prägen diese Botschaften unser Erleben. Wir werden durch sie darauf aufmerksam gemacht, dass in den ersten Tagen, Wochen oder auch Monaten des Besitzes unser Lebensgefühl tatsächlich gehoben ist. Doch was ist danach?

 

Die Falle der Adaption

 

„Wir gewöhnen uns an die Dinge“, sagt der Sozialpsychologe Prof. Thomas Gilovich (Cornell University, New York). Er beschäftigt sich seit zwei Jahrzehnten mit dieser Frage und hat dazu eigene Forschungen durchgeführt. Was er dabei wieder und wieder fand, das ist der Effekt der  Gewöhnung. Er wird von der Wissenschaft gerne auch Adaption genannt.

Gut möglich, dass die neuen roten Schuhe schon nach ein paar Wochen kaum noch getragen werden. Ein wenig unbequem sind sie ja schon. Und im Alltag ohnehin nicht zu gebrauchen.

Der Kauf von Gegenständen, von Kleidung und Schuhen, von Möbeln, von elektronischen Geräten oder Accesoires für die Verschönerung der Wohnung – das alles ist nur eine Möglichkeit unser Geld auszugeben. Wir können es auch für Erlebnisse und Erfahrungen ausgeben – experiences in Gilovichs Worten.

Experiences – das kann ein Urlaub sein, eine Städtereise, ein Konzert, eine Ausstellung, ein Yogakurs. Wir können uns auch weiterbilden, einen Blog schreiben und Sport treiben.

Oder wir erleben einen tollen Abend mit Freunden in einem schönen Restaurant. So wie die Amerikaner es neuerdings viel lieber machen. Das lässt einen ganz anderen Schluss zu als den, dass Facebook und Instagram ihre inneren Koordinaten verschoben haben. Die schwere Wirtschafts- und Finanzkrise der Jahre 2008/09 hat vielen Amerikanern möglicherweise einfach klargemacht, was im Leben wichtig ist – und was nicht.

Mit Freunden Spaß zu haben ist wichtig. Etwas zu kaufen dagegen ist ein schaler Genuss – zumal wenn er mit Krediten finanziert wird, wie viele es in der Vergangenheit gemacht haben.

 

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Das unbeständige Glück der Dinge

 

Bei seinen Forschungen hat Prof. Gilovich einen ganz ähnlichen Effekt gefunden, wie wir ihn gerade schon beim höheren Einkommen gesehen haben: Einen unterschiedlichen Zeithorizont.

Gilovichs Forschungen kommen zu folgendem Ergebnis: Dinge und Erfahrungen machen uns zunächst einmal gleichermaßen glücklich. Nach einiger Zeit aber zerrinnt das Glück das Dinge in uns auslösen. Die Adaption setzt ein. Diese Adaption war auch beim höheren Verdienst wirksam. Wir gewöhnen uns an das was wir haben – das Glücksgefühl schwindet.

An dieser Stelle nimmt unsere Geschichte eine ganz unerwartete Wendung. Dinge sind sichtbar. Ich kann sie berühren. Sie haben eine materielle Existenz und sind damit scheinbar beständig.

Erfahrungen aber sind unbeständig. Sie vergehen, manchmal in einem kurzen Augenblick, manchmal in Minuten oder Stunden. Dann sind sie vorbei.

Und doch verhält es sich mit Dingen und mit Erfahrungen auf lange Sicht genau umgekehrt. Das Glück, einen Gegenstand zu besitzen schwindet dahin. Das scheinbar flüchtige Glück eines Erlebnisses, das nur in meiner Erinnerung noch existiert aber bleibt. Es erweist sich als beständig.

Aber warum ist das so?

 

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Warum machen Erfahrungen dauerhaft glücklich?

 

Prof. Gilovich bietet verschiedene Erklärungen dafür an, warum Erfahrungen auf Dauer das stabilere Glück bieten. Während bei gekauften Gütern die Adaption einsetzt, werden unsere Erfahrungen zum Teil unserer Identität. „Güter bleiben immer Teil der Außenwelt – Erfahrungen aber sind wirklich Teil von uns selbst. Wir sind die Summe der Erfahrungen die wir gemacht haben“, sagt Gilovich.

Das erklärt die hohe Strahlkraft einer schönen Erfahrung aber nur zum Teil. Erfahrungen haben noch einen weiteren Vorteil. Sie verbinden uns mit anderen Menschen. Gemeinsam ein Konzert zu besuchen oder eine mehrtägige Bergwanderung durch die Alpen zu machen – das verknüpft uns mit anderen Menschen. Auch deshalb vermögen uns Erfahrungen glücklicher zu machen.

Wir schauen aus dem Fenster, sehen wie die Sonne aufgeht und sagen: „Weißt du noch, wie die Sonne über dem Piz Bernina aufging bei unser Wanderung?“ Wir erinnern uns. Und wir erinnern uns gemeinsam. Wieder und wieder. Unsere Erfahrungen bleiben. Das gibt unserem Leben Konstanz – und macht uns glücklich. Dauerhaft.

Wir sagen nicht: „Weißt du noch wie ich die roten Schuhe bekommen habe und wie glücklich ich damals war?“ Die roten Schuhe sind überdies lange kaputt. So ist das mit den meisten Dingen die unseren Alltag eine Zeit lang bereichern. Sie sind nur kurzfristige Begleiter unseres Lebens. Der Absatz ist eines Tages abgebrochen. Und so wurden sie im Müll entsorgt. Unbequem waren sie ja noch dazu.

 

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8 Kommentare

  1. Rainer Ostendorf

    Ich denke ja, Einkaufen kann glücklich machen. Das Glück ist aber oft nur von kurzer Dauer.
    Schöne Grüsse aus Osnabrück

    Antworten
  2. Erfolgsmaschine

    Ich denke auch, dass die Arbeit ein sehr wichtiger Punkt ist, um Glücklich zu sein. Wir verbringen über 1/3 von einem 24h Tag auf Arbeit. Das ist viel und ist darum nur logisch, dass so viel Zeit bei einem verhassten Arbeitgeber zu verbringen auf Dauer nicht Glücklich machen kann! Darum ist neben Freunden und Familie der richtige Job oder Arbeitsumfeld essentiell.

    -Erfolgsmaschine

    Antworten
  3. Emanuel

    Das Gehaltsthema ist immer ein zweischneidiges Schwert. Generell stimme ich dir voll zu, dass das Gehalt nicht an oberster Stelle steht, wenn es um die Zufriedenheit im Job geht. Man muss halt nur aufpassen, dass nicht irgendwann das Gefühl der Ungerechtigkeit / Neid etc. auftritt, wenn einem bewusst wird, dass er sich spürbar unter Wert verkauft hat. Ich denke, dass hier die Spanne von Entscheidung ist. Ist sie zu groß, werden auch die netten Kollegen oder der schöne Arbeitsplatz, nicht mehr allzu viel helfen können. Dies geht aber auch in die andere Richtung. Sind die Unstimmigkeiten zu groß oder die Aufgaben nicht erfüllen, hilft auch der schöne Gehaltsscheck nicht. Die Ausgewogenheit ist hierbei wichtig in meinen Augen.

    Gruß,
    Emanuel

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  4. Petra

    Ich persönlich halte es für wichtig, das Wort Arbeit durch „Beschäftigung“ zu ersetzen. Unter Arbeit versteht jeder was anders. (glaub ich zumindest)

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    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Zudem hat das Wort „Arbeit“ in unserer Gesellschaft einen schlechten Ruf. Werden die Menschen gefragt wo sie sich wohler fühlen, zu Hause, also in der Freizeit oder bei der Arbeit, dann behaupten sie in der Regel, zu Hause sei es schöner.
      Ganz anders sieht es hingegen aus, wenn man ihnen kleine Geräte gibt, die regelmäßig piepen und dann mit Informationen über das Wohlbefinden gefüttert werden müssen. Und schon liegt die Arbeit klar vor der Freizeit.
      Arbeit versorgt uns gleich mit drei Strömen der Anerkennung. Erstens den Erfolgen. Es macht uns Freude, Ziele zu erreichen. Zweitens dem Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen. Das ist ein wichtiger Grund, warum viele Männer mit der Verrentung schlecht zurecht kommen – ihre sozialen Kontakte laufen oft weitgehend über die Arbeit. Fällt die weg, dann vereinsamen sie. Und drittens – auch nicht unwichtig – das Geld. Auch das ist eine Form der Anerkennung. Bei ehrenamtlicher Tätigkeit, die viele oberhalb des 65. Lebensjahres ausüben, bleiben immer noch erstens und zweitens.

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  5. Marco

    Lieber Christian Thiel! Ich höre grade ihr Hörbuch. „Schatz, ….“
    Ist recht aufschlussreich für mich, ungleich interessanter allerdings dieser Artikel über psychologische und emotionale Dinge. Da zeigt es sich mal wieder – Geld ist wichtig, aber eben nicht das wichtigste auf der Welt…
    Gerne mehr solche psychologischen Artikel auf Ihrem Blog!

    Viele Grüße aus Rheinhessen! Marco

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    1. Christian Thiel (Beitrags-Autor)

      Lieber Marco,
      das war gerade mal der vierte Text zum Themenbereich „Geld und Glück“ in vier Jahren. Völlig richtig: Das sollten mehr werden. Ich arbeite dran!
      Schöne Grüße aus Berlin
      Christian

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  6. kuwibol

    Super Artikel. Danke!!

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